Rezension Andrea Schütze: Harry Sidebottom, Krieg in der Antike
Wissenschaftliche Rezension
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Werkdaten:
Harry Sidebottom:
Krieg in der Antike,
WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Stuttgart 2008
ISBN-10: 978-3-15-018484-4
224S.,
Preis: 5,60 €.
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Warum
kann jemand jemanden anderen nicht leiden? – Eine kleine, aber für das
menschliche Zusammenleben durchaus essentielle Frage, die bei genauerer
Überlegung zusehends an Tiefe gewinnt; sie dringt geradewegs ins
Innerste der Zivilisation vor. Schnell offenbart der Grund für das
„Nichtleidenkönnen“ anderer – Ursache für Aggression und Mobbing, für
Gewalt und Krieg – seinen Sitz in den Köpfen der Menschen: Dieser Grund
hat schon existiert, bevor Krieg ausbricht, er besteht, während Krieg
tobt, und er wird (meist) noch existieren, wenn der Krieg bereits
vergangen sein wird, um so immer wieder neue Impulse für einen
verhängnisvollen Kreislauf zu geben. Krieg ist nicht allein ein
historisches Ereignis, eine Frage politischer Konstellationen und
chronologischer Abläufe, ein Ergebnis von Technik und psychosozialer
Gewalt; Krieg ist in erster Linie auch eine „Kopfsache“.
In sieben Kapiteln und auf knapp 180 Seiten möchte Harry Sidebottom in
seiner Einführung in den „Krieg in der antiken Welt“, die deutsche
Übersetzung von „Ancient warfare: a very short introduction“ (Oxford
2004), der Tragfähigkeit einer noch heute vertretenen Vorstellung vom
Western way of war und ihrer antiken Befruchtung nachgehen (S. 8).
Dabei geht es um ein aus der Antike entlehntes Vorbild vom ‚edlen‘
Krieg, bei dem militärische Dominanz auf einer
psychisch-intellektuellen Überlegenheit in Form von Disziplin,
Rationalität und geradezu heroischer Tapferkeit beruhen soll, in dem
nicht ‚feige‘ Guerilla-Taktiken, sondern offene Entscheidungsschlachten
zum Sieg führen. Das diesem Bild innewohnende Pathos offenbart sich
bereits in seiner kurzen Skizzierung und veranlasst den militärisch
weitgehend desillusionierten Leser des 21. Jahrhunderts mit einer
gewissen nachdenklichen Skepsis innezuhalten; eine Skepsis, die wohl
auch Sidebottom teilt, der das Idealbild bereits zu Beginn als eine
„kulturelle Konstruktion“ (S. 16) charakterisiert. Das von ihm knapp
160 Seiten später gezogene Fazit, dieses Idealbild sei eine „höchst
anpassungsfähige und mächtige Ideologie“, die „ständig neu erfunden“
werde (S. 180), erscheint so wenig überraschend. Dies allein wäre ein
schmaler Gewinn für eine mit klar erkennbarem Engagement verfasste
Abhandlung. Sidebottom hat jedoch in seinen sieben Kapiteln deutlich
mehr zu bieten.
Gerahmt von zwei ausdrucksstarken Kriegszitaten aus dem Film „Der
Gladiator“ verfolgt Sidebottom einen für eine kurze Einführung in die
Geschichte des Krieges zunächst ungewöhnlich erscheinenden Weg:[1] Er
geht nicht von einem Ansatz aus, den Krieg in erster Linie als äußeres,
faktisches Phänomen auf dem Schlachtfeld zu beschreiben. Der Autor
wendet sich vielmehr ins Innere der Menschen, betrachtet ihre
Vorstellungen und Vorurteile und zeigt auf, dass das Kriegerische im
einzelnen Kopf Ergebnis eines in sich verschränkten Prozesses aus
wechselseitiger Beeinflussung von äußerer Kultur und innerer (die
Außenwelt rezipierender) Vorstellungswelt bedeutet. Der äußere Krieg
ist in Sidebottoms Darstellung auch das Ergebnis eines in den Tiefen
von Gesellschaft und Individuum schwelenden inneren Krieges in den
Köpfen der Menschen.
Dieser Betrachtungsweise von innen nach außen trägt auch der gesamte
Aufbau der Einführung Rechnung. So präsentiert Sidebottom den antiken
Krieg mit zahlreichen Beispielen aus den literarischen Quellen und den
archäologischen Zeugnissen sowie in Auseinandersetzung mit modernen
wissenschaftlichen Kriegstheorien.[2] Zwar tritt dabei der reale,
äußere Krieg dem Leser in zahlreichen Variationen vor Augen, doch in
stetiger Dominanz des Mentalen. Als Kern einer feindlichen Ablehnung
gegenüber dem Fremden benennt Sidebottom beispielsweise im ersten
Kapitel Vorurteile und vor allem Fehlvorstellungen. Diese unterlagen
nicht nur der Topik und der Tradition, sondern vermochten bisweilen
auch seltsame Blüten zu treiben, wie etwa die eifrige
Hellenismusrezeption der Römer unter gleichzeitiger Verachtung der
Griechen zeigt, die auf Vorurteilen basierte, welche die Griechen
ihrerseits zuvor gegen Perser und Orientalen gehegt hatten (S. 29–32).
Im zweiten Kapitel zum „Krieg als Grundlage des Denkens“ erörtert
Sidebottom, wie tief der Krieg mit seiner im ersten Kapitel behandelten
geistigen Last aus Topik, Vorurteilen und Fehlvorstellungen auch in das
allgemeine Denken eingedrungen war und dabei sogar bis in die Bereiche
der privaten Selbstdefinition vordrang, wie sich etwa an den
Schlachtensarkophagen für kriegsferne Männer und auch Frauen zeigt.[3]
Darin klingt bereits das Thema des dritten Kapitels („Krieg und
Gesellschaft“) an, in dem Sidebottom nicht nur den Einfluss des Krieges
auf die Gesellschaft, sondern auch den Einfluss der Gesellschaft und
ihres Wandels auf den Krieg beleuchtet. Der antiken Kriegstheorie
wendet sich das vierte Kapitel („Reflexion des Krieges“) zu. Sidebottom
betrachtet hier die in zivilen Zeiten von Zivilisten geführten
Reflexionen über Recht und Unrecht im Krieg. Die frühen Stadien eines
antiken Kriegsrechts fanden ihre intensivste Ausprägung in römischer
Zeit mit der Bellum-iustum-Diskussion. Sidebottom arbeitet sehr schön
die Relativität von rechtsphilosophischen Positionen heraus – ob man in
Bürgerkriegszeiten Kriegern respektvoll gegenübertrat oder in den
Zeiten der peripheren Kriege des Prinzipats diesen mit Verachtung
begegnete, ob man als Christ Krieg ablehnte oder unter dem Eindruck der
Völkerwanderungsstürme wie Augustinus kriegerisches Töten zu
rechtfertigen wusste. Im überaus anregenden fünften Kapitel zur
„Strategie“ legt Sidebottom anhand der Frage der grundsätzlichen
Realisierbarkeit antiker Eroberungspläne oder logistischer
Vorstellungen dar, wie schnell modernes Denken durch falsche
Parallelisierungen in die Irre gerät. Im sechsten Kapitel („Kampf“),
das zugleich das umfangreichste ist, tritt der Krieg aus dem geistigen
Vorfeld in die Umsetzung, dargestellt anhand unterschiedlicher
Kampfvarianten, so der Hoplitentaktik und der griechischen Phalanx oder
der Kampfweise der römische Legionen, aber auch speziellerer
Ausformungen wie der Kavallerie und Seekriege.
Wieder im Zeichen des „Gladiators“ und der abendländischen
Kriegsführung steht das abschließende siebte Kapitel („Ein Volk sollte
wissen, wann es besiegt ist …“), das das Kriegsende thematisiert.
Sidebottom stellt diesen letzten Abschnitt unter das Vorzeichen der
Psychologie des Krieges. Wesentliches Moment bei der Beendigung des
Krieges sei es nicht gewesen, den Gegner zu eliminieren, es ging
lediglich darum, Widerstand zu brechen, wie Sidebottom unter anderem am
Fall der Nasamonen zu exemplifizieren sucht, die trotz eines
„Existenzverbots“ Domitians weiterhin ihr Dasein fristeten.
„Völkermord“, so Sidebottom, stellte „in der antiken Welt keine
praktische Möglichkeit dar“ (S. 162). An dieser Stelle kann man
Sidebottom allerdings entgegengehalten, hier möglicherweise selbst der
von ihm vielfach kritisierten modernen Sichtweise aufgelaufen zu sein,
die Völkermord am Maßstab der Genozide der Nazidiktatur zu definieren
sucht. Weiter erscheint mir in diesem Kapitel die Parallelisierung von
„Gladiator“ und Markussäule – jeweils als zeitgenössische Definition
abendländischer Kriegsführung – nicht ganz unproblematisch;
insbesondere wenn das Nichterscheinen bzw. Auftreten von Göttern in
Kriegsdarstellungen als trennendes Moment zwischen Antike und Neuzeit
genannt wird (S. 169). Sicherlich fehlt im „Gladiator“ ein göttlicher
Auftritt im Kriegsgeschehen, doch dürfte dies als Beleg für eine
unterschiedliche Sichtweise nicht ausreichen. Ridley Scott ging es
nicht darum, Bericht zu erstatten, sondern den Zuschauer unmittelbar in
das reale Kriegsgeschehen einzubeziehen. Außerdem fehlen der filmischen
Schlachtenszenerie jegliche situative Elemente (etwa das Regenwunder),
die eine der Markussäule vergleichbare religiös-überhöhte Ausdeutung
hätten erlauben können. Schließlich gibt es zahlreiche antiken
Kriegsbeschreibungen, in denen das Motiv des göttlichen Wirkens eine
weitaus geringere oder gar keine Rolle spielt (so weist die
Trajanssäule deutlich weniger göttliche Bezüge auf), so dass allein ein
Verweis auf die Markussäule keinesfalls ausreichen kann, um daraus
einen generellen Grundsatz zur antiken Sichtweise abzuleiten.
Dennoch legt Sidebottom eine sehr engagiert und überzeugend
geschriebene Einführung vor. Dies offenbart sich auch im Anhang:
Sidebottom bietet ein sehr umfangreiches militärhistorisches
Zeitregister, ein nicht anders als exzellent zu bezeichnendes
Literaturverzeichnis mit Bewertungen, die einen Einstieg enorm
erleichtern, sowie sehr ausführliche Abbildungsnachweise und ein
umfangreiches Register. Lediglich das ungenaue Kartenmaterial stellt
hier einen Wermutstropfen dar. Der Leser wird dazu angehalten, zusammen
mit dem Autor durch eine beeindruckende Fülle von historischen
Beispielen, kunsthistorischen Interpretationen und
wissenschaftstheoretischen Diskussionen quer durch die althistorischen
und bisweilen auch neuzeitlichen Sphären zu wandern und sich dabei auf
der Zeitschiene im Dienste der Argumentation vor und zurückzubewegen.
Sidebottom liefert zudem das anregende Angebot, Krieg einmal von innen,
von seiner geistigen Seite zu beleuchten.
Andrea Schütze
Andrea Schütze München, Andrea Schuetze, Lupa Romana, Historikerin, Rechtshistorikerin, Althistorikerin, Mediävistin, Kunsthistorikerin, Rechtshistorikerin, Archäologin,
Rezension.
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