Rezension Andrea Schütze: Martina Seifert, Aphrodite - Herrin des Krieges Göttin der Liebe
Wissenschaftliche Rezension
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Werkdaten:
Martina Seifert (Hrsg.),
Aphrodite - Herrin des Krieges Göttin der Liebe,
Philipp von Zabern Verlag
Mainz 2009
ISBN-10: 978-3-8053-3942-1
141S.,
Preis: 29,90 €.
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Weitere Erscheinungsorte
der Rezension:
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„Wie
schäm ich mich, dass Fraun so albern sind! Sie künden Krieg und sollten
knien um Frieden! O dass sie herrschen, lenken, trotzen wollen, wo sie
nur schweigen, lieben, dienen sollen! Weshalb ist unser Leib zart,
sanft und weich, kraftlos für Müh und Ungemach der Welt, als dass ein
weiches Herz, ein sanft Gemüte als zarter Gast die zarte Wohnung hüte“
(Der Widerspenstigen Zähmung V 2, 160–167) – Shakespeare wäre nicht
Shakespeare gewesen, hätte er dieses Plädoyer für die sanftmütig
Liebende einer modern gedachten Aphrodite/Venus in den Mund gelegt,
etwa im Typus der ihm zeitnahen Botticelli-Venus mit ihrem
sinnlich-verhangenen Blick. Ihre antiken Kompositionsvorbilder [1]
erzeugten wie im Fall der Venus von Milo durch Verhüllen und Enthüllen
[2] oder der Knidischen Aphrodite durch Schamhaftigkeit und
Schamlosigkeit [3] vor allem eine starke erotische Spannung. Der antike
kriegerische Aspekt der Göttin Aphrodite hingegen verkam in zahlreichen
neuzeitlichen Adaptionen zum verniedlichten Sieg der Liebe über den
Krieg. Shakespeare, Kenner der Gefühlswelten, erkannte die weitaus
drastischere Ambivalenz der Liebe aus Gewalt und Zärtlichkeit sowie
ihre enorme transformierende Macht und überraschte in einem großartigen
Finale sein Publikum mit Venus-Worten aus dem Mund einer Virago.
Dieser etwas in Vergessenheit geratenen Vielschichtigkeit der Aphrodite
spürt Martina Seifert zusammen mit sieben weiteren Beiträgern in dem
von ihr herausgegebenen Band nach. Der reich bebilderte und durchgehend
verständlich geschriebene Sammelband mit zahlreichen Exkursen und einer
guten Auswahlbibliographie eröffnet auch weiteren Kreisen diese
spannende Thematik. Der Aufbau des lokal stark an Zypern orientierten
Bandes ist klar erkennbar: Die ersten vier Artikel betrachten die
Entstehung des Mythos der Aphrodite, ihre orientalischen und
ägyptischen Wurzeln sowie die angesprochene Ambivalenz der Göttin.
Daran schließen sich zwei weitere Beiträge an, die sich wichtigen
Männergestalten an Aphrodites Seite widmen, während die letzten beiden
Beiträge ihre religiöse und künstlerische Rezeption behandeln.
Buchstäblich am Anbeginn des klassischen Aphrodite-Mythos, an jenem
„Felsen der Aphrodite“, der heute als Touristenattraktion vermarktet
wird, eröffnet Martina Seifert ihren Beitrag „Aphrodite – eine
Liebesgöttin auf einer langen Reise“ (S. 14–26) mit poetischen Worten
Hesiods über die schaumgeborene Göttin. Im weiteren Verlauf entwirft
sie einen allen weiteren Beiträgen leitgebenden Rahmen, der von den
mythologischen Ursprüngen Aphrodites bei Homer und Hesiod sowie alten
Kultzentren auf Zypern und in Phönizien bis in die Welt der klassischen
Antike reicht. Intensiv setzt sie sich mit der kriegerischen Ambivalenz
der Liebesgöttin auseinander. Sie zeigt zugleich die Abkoppelung der
klassisch-antiken Motive von ihren orientalischen Vorbildern auf (S.
26) und verweist auf die sich entwickelnde Differenzierung im
Kriegsbild der Aphrodite, die einerseits amazonengleich in Waffen oder
als römische Venus victrix ohne Waffen zu siegen weiß, andererseits
aber auch allein durch die Macht ihrer Erotik den stärksten Kriegsgott
entwaffnet und so den Sieg über den Krieg davonträgt. Jacqueline
Kersten untersucht „Die altorientalische Inanna/Ištar als Vorbild der
Aphrodite“ (S. 27–45). Sehr schön veranschaulicht sie zunächst den
gefährlich-widersprüchlichen Charakter der „feuerköpfigen“ Ištar (S.
34), in dem bereits deutlich Motive aus dem Mythos der Aphrodite
anklingen. Aphrodite selbst lässt sich namentlich erst seit Homer
nachweisen. In ihrer recht überzeugenden Argumentation erörtert Kersten
sowohl die orientalische Abkunft als auch die griechische
Weiterentwicklung der Aphrodite, deren Kriegsaspekt dabei deutlich
reduziert wurde.
Ebenfalls im orientalischen Umfeld der Aphrodite untersucht
Maren-Grischa Schröter „Die phönizische Astarte – Schwester der
kyprischen Göttin“ (S. 46–62). Anhand von Zeugnissen aus den zyprischen
Städten Kition, Paphos und Amathus arbeitet sie gut nachvollziehbar die
Bedeutung der phönizischen Handelsbeziehungen für den mediterranen
Kulturtransfer heraus; diese Kulturvermittlung von Phönikien nach
Zypern illustrieren sehr schön die „nackte Göttin“, der Gott Melqart
als Pendant des Herakles, die anikonische Astarte/Aphrodite und die
zyprische Tempelprostitution. Judith Budesheim widmet sich in „Eine
Göttin aus Schaum“ (S. 63–75) – entgegen der Vermutung – ganz
handfesten Funden wie den zunächst nicht sicher als Teil der Verehrung
einer Ur-Aphrodite deutbaren Pikrolith-Anhängern in Frauengestalt.
Ihren Schwerpunkt legt sie auf die Untersuchung bronzezeitlicher
Brettidole. Eingehend und anschaulich stellt Budesheim die Varianten
einer in alle Lebensbereiche hineinwirkenden großen Göttin Zyperns vor
und erörtert zugleich das orientalische und ägyptische Erbe einer
Inanna und einer Hator, das sich in diesen Brettidolen verkörpert.
Die wichtigsten Männerbeziehungen Aphrodites zu den Göttern Hephaistos
und Ares untersucht Anna Kieburg („Hephaistos und Ares. Mythische
Ursprünge zu Aphrodite und die bronzezeitliche Kupferverarbeitung auf
Zypern“, S. 76–90). Mit Zeugnissen aus den Städten Enkomi und Kition
beleuchtet sie nicht nur die bereits mehrfach angesprochenen
kulturellen Austauschströmungen (so zu den Göttern Baal oder Reshef),
sondern zeigt auch die enge lokale und kultische Verknüpfung der
Metallverhüttung unter gleichzeitiger Verehrung von weiblichen und
männlich-kriegerischen Barrengöttern auf. Dabei habe sich, so Kieburg,
aus der Doppelverehrung von weiblichem und männlich-kriegerischem
Barrengott der Mythos einer Liebe zwischen Ares und Aphrodite
entwickelt (S. 88). Im Laufe der Jahrhunderte habe innerhalb der
männlichen Göttergestalt ein weiterer Aufspaltungsprozess in Ares und
Hephaistos stattgefunden (S. 90), wobei über das mythologische
Dreiecksverhältnis die enge Verknüpfung zur Aphrodite erhalten blieb.
Der Entwicklung des Adonis als Geliebter der Aphrodite wendet sich
Wiebke Friese zu („Geliebter Gott oder Göttlicher Geliebter? Adoniskult
im Schatten der Aphrodite“, S. 91–110). Nicht zuletzt mittels einer
stark architekturgeprägten Argumentation bespricht Friese den lokal
variierenden Kult der Adonien als ewigen Kreislauf aus Werden, Vergehen
und Wiederentstehen und die im weiteren Geschichtsverlauf erkennbare
Emanzipierung des Gottes vom Aphroditekult.
Unter dem Blickwinkel religionsgeschichtlicher Rezeption betrachtet
Kathrin Kleibl („Bündnis und Verschmelzung zweier Göttinnen. Isis und
Aphrodite in hellenistischer und römischer Zeit“, S. 111–125) die durch
die Ptolemäer beförderte Verschmelzung der ägyptischen Göttin Isis mit
Aphrodite, die so im gesamten Mittelmeerraum Verehrung fand. Dabei
konnte sich der Kult je nach lokal-religiösen Vorgaben deutlich
unterscheiden. Rolf Hurschmann untersucht mit seinem Beitrag „… und
Aphrodite schaut zu!“ (S. 126–137) schließlich anhand apulischer und
pästanischer Vasenmalereien die unterschiedliche szenische Einbindung
der Aphrodite in Darstellungen des Trojanischen Krieges und des
Europa-Mythos. Sie reicht dabei von der aktiven Vermittlungs- und
Stiftungstätigkeit bis hin zu passiver Nichtbeteiligung und fehlender
bzw. verkürzter Darstellung.
Ein wesentlicher Anziehungspunkt dieses Sammelbandes ist sicherlich die
auch auf dem Cover deutlich hervorgehobene Ambivalenz der Aphrodite und
ihr besonderes Verhältnis zum Krieg. In den Beiträgen erfährt man zwar
über diesen kriegerischen Aspekt der Göttin nichts wesentlich Neues,
dennoch bieten die Autoren durch ihr Abweichen vom klassisch-antiken
Mainstream, ihre Konzentration auf die Ursprünge, die orientalische
Vor- und die zypriotische Frühgeschichte der Aphrodite dem Leser eine
interessante und gewinnbringende Lektüre. In einer exzellenten
Darstellung zeigen sie zudem, wie tiefgreifend und weitreichend der
Kulturaustausch zwischen Orient und griechisch-römischer Welt sein
konnte.
Andrea Schütze
Andrea Schütze München, Andrea Schuetze, Lupa Romana, Historikerin, Rechtshistorikerin, Althistorikerin, Mediävistin, Kunsthistorikerin, Rechtshistorikerin, Archäologin,
Rezension.
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