Rezension Andrea Schütze: van Royen / van der Vegt, Griechen kommen von der
Venus, Römer vom Mars
Wissenschaftliche Rezension
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Werkdaten:
René van Royen und Sunnyva van der Vegt,
Griechen kommen von der Venus, Römer vom
Mars. Eine etwas andere Einführung,
C.H. Beck-Verlag
München 2008
ISBN-10: 978-3-406-56890-9
190S.,
Preis: 14,95 €.
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Weitere Erscheinungsorte
der Rezension:
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Einer
historischen Tatsache kann man sich schriftlich auf dreierlei Weise
widmen: literarisch, wissenschaftlich oder populärwissenschaftlich. In
jedem Fall ist zur Bewertung der Abhandlung ein unterschiedlicher
Maßstab anzulegen. Eine Mischung aus Literatur und Wissenschaft stellt
die Populärwissenschaft vor. Einerseits sucht sie auf unterhaltsame
Weise größere Leserkreise für eine durchaus ernsthafte Thematik zu
interessieren, andererseits soll durch Allgemeinverständlichkeit eine
Simplifikation wissenschaftlich komplexer Inhalte – möglichst ohne
Verlust des inhaltlichen Anspruchs – erreicht werden. Hier die Waage im
Ausgleich zu halten, dürfte nicht immer ein leichtes Unterfangen
darstellen, kann aber im gelungenen Fall auch für einen Wissenschaftler
als durchaus anerkennenswerte Leistung betrachtet werden. Als
öffentliches Sprachrohr erzeugt populärwissenschaftliche Literatur
vielfach eine wichtige kommunikative Ebene zwischen der Masse
interessierter Laien und einer deutlich kleineren Gruppe
hochspezialisierter Fachleute. Ihre wissenschaftliche
Rekrutierungswirkung als Einstiegslektüre darf meines Erachtens nicht
unterschätzt werden.
Die beiden niederländischen Autoren Sunnyva van der Vegt und René van
Royen stellen mit ihrem witzig betitelten Buch „Griechen kommen von der
Venus, Römer vom Mars“ nicht ihr erstes populärwissenschaftliches Werk
vor.[1] Ihr nun im Beck-Verlag in einer deutschen Übersetzung
erschienenes, „recht eigenwillige[s]“ Einführungswerk hat – wie der
Klappentext angibt – „die antiken Zeugnisse einmal gegen den Strich
gebürstet“; es gliedert sich neben Vor- und Nachwort in fünf Kapitel,
jeweils mit Unterüberschriften weiter unterteilt, für die die Autoren
teilweise sehr einprägsame Formulierungen gefunden haben[2]; andere
hingegen fallen zu effektbedacht aus oder lassen keinen inhaltlichen
Bezug mehr erkennen.[3] Die Anmerkungen zeigen ein deutliches Bemühen
der Autoren, das präsentierte Wissen vornehmlich aus den Quellen
herauszulesen bzw. diese selbst sprechen zu lassen; Forschungsliteratur
wird nur vereinzelt benannt. Dies kann angesichts eines fehlenden
weiterführenden Literaturverzeichnisses für ein Einführungswerk nicht
recht überzeugen. Ein Bildnachweis beendet den kleinen Band.
Im ersten Kapitel „Venus und Mars“ (S. 9–16) wird zunächst sehr schön
herausgearbeitet, dass „Liebe und Aggression [als] die stärksten
Gefühle, die wir kennen“ (S. 9), nicht allein die emotionalen
Eckpfeiler unserer Empfindungswelt bilden, sondern deren Wahrnehmung
ganz wesentlich sozial determiniert ist. Der Hinweis auf den konträren
Umgang mit Sexualität und Gewalt zwischen europäischer und
US-amerikanischer Kultur leitet zu einem antiken Parallelverhältnis
zwischen Griechen und Römern über. Dabei konstatieren die Autoren für
das antike Verhältnis „eine noch viel breitere Kluft“, präsentierten
sich Römer und Griechen doch als „zwei eigenständige Welten oder besser
gesagt, zwei gänzlich unterschiedliche Planeten“ (S. 12f.). Die
Wechselbeziehungen europäischer und US-amerikanischer wie griechischer
und römischer Kultur bleiben allerdings unerwähnt.
Ein kurzer Quellenexkurs stellt die Bedeutung unmittelbarer
Quellenaussagen vor und unterstreicht die Problematik, eine nur geringe
Zahl erhaltener Autorenstimmen als repräsentativ für die Millionen
antiker Menschen ohne überlieferte Meinungsäußerung heranzuziehen. Die
Begründung der dann doch vertretenen Repräsentationsfähigkeit, dass
„damals, nicht anders als heute, nur die Bücher in Umlauf blieben, die
dem Geschmack einer breiten Öffentlichkeit entsprachen“ (S. 16), vermag
allein schon deshalb nicht zu überzeugen, weil Literatur in der Antike
immer eine Angelegenheit der Bildungselite blieb. Zudem war die
Überlieferungssituation für lateinische und griechische Quellen nicht
immer gleich.
Wie schon zuvor für Liebe und Aggression konstatieren die Autoren im
Abschnitt „Der Sinn des Lebens“ (S. 17–50) durchaus richtig religiöses
Empfinden als eine von „den jeweiligen kulturellen und
gesellschaftlichen Kontexten“ abhängige Wahrnehmung (S. 18).
Bedauerlicherweise wird von der Vielfalt griechischer Philosophie nur
der Epikureismus als Repräsentation des Griechentums ausführlich
vorgestellt. Als Kontrast tritt gegen diese Lebenshaltung zunächst die
christliche Weltsicht eines Augustinus auf, dem „jede normale
menschliche Regung und Emotion zuwider“ war (S. 34); eine auf den
ersten Blick richtig erscheinende Feststellung, die jedoch Augustinus’
Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und dem Thema Liebe in
seinen Werken vollständig ausblendet. Gleichermaßen unerwähnt bleiben
die kulturellen Einflüsse der jüdischen Religion auf die sittliche
Orientierung der Christen. Als „Ursprung“ dieser lebensfeindlichen
Haltung (S. 36) wird die römische Kultur ausgemacht, die als eine
geldgierige, geltungs- und ruhmsüchtige Blendergesellschaft
charakterisiert wird. Sallust als Feind jeglicher Beschaulichkeit zu
interpretieren (S. 40), dabei aber die dem Römer durchaus vertraute
Otium-Pflege dem Leser vorzuenthalten, ist ebenso problematisch wie die
These, „andere zu übertreffen, über ihnen zu stehen“ (S. 49), sei ein
typischer Ausdruck einer römischen Leistungsgesellschaft; dieses
Leistungsideal findet sich auch im Nationalwerk der Griechen, in Homers
Illias: Auch seine Helden wollen immer der erste sein und sich vor
allen auszeichnen (Hom. Il. 11,784).
Die beiden folgenden Kapitel „Liebe und Sex“ (S. 51–86) und „Die Ehe“
(S. 87–126) sind dem Autorenteam mit zahlreichen Anekdoten, dem
literarischen Aufeinanderprallen von Puritanern und Freigeistern sowie
recht witzigen und anschaulichen Beschreibungen von Symposien und
Hochzeitsfeierlichkeiten oder dem ehelichen Alltag deutlich besser
gelungen.[4] Das letzte Kapitel „Krieg – eine Frage der Zivilisation“
(S. 127–172) beginnt mit einer ansprechenden Auseinandersetzung mit der
heroisierenden Historienmalerei von Jacques-Louis Davids „Raub der
Sabinerinnen“ und seiner wenig realitätsnahe Geschichtsinterpretation.
Ein sehr unterhaltsames historisches Einfühlungsvermögen bezeigen die
Autoren mit ihrer Beschreibung des frühen Rom und seiner Bewohner[5],
der finanziellen Not römischer Bauern-Krieger oder der nicht
unterzukriegenden Durchhaltementalität der Römer im Zweiten Punischen
Krieg (S. 154).
Problematisch erweisen sich hingegen wiederum die „steilen Thesen“ (S.
157) der Autoren. Dass die Römer im Hemd die Welt erobert hätten (S.
129), ist zwar grundsätzlich richtig; die Annahme römische Soldaten
hätten auch „im Gebirge oder in den feuchten und kühlen Wäldern
Westeuropas“ keine Hosen getragen (S. 156), ist dagegen doch zu
vorschnell.[6] Aus diesem Kleidergefühl die These für römischen
Militärerfolg abzuleiten (S. 157), ist nicht nur „steil“, sondern
schlicht unhaltbar. Krieg konnte zwar als Ventil für innenpolitische
Missstände genutzt werden, die Annahme einer Art „Kampfhund-Politik“
der römischen Oberschicht (S. 151), die soziale Not ausnutzte, um
Kriegslust zu schärfen, erscheint aber gleichfalls als sehr gewagt.
Dichtung und Kriegskommentar gegenüberzustellen und deren Aussagen ohne
kritische Prüfung vollständig zu übernehmen, um so einen
Mentalitätsunterschied zwischen gewaltskeptischen und eher sportlichen
Griechen einerseits und brutalen und gegenüber den eigenen Männern
kaltschnäuzigen Römern andererseits herzuleiten (S. 170f.), dürfte in
einem Einführungswerk auch sehr kühn sein.
Das Buch ist unterhaltsam und regt zur Diskussion an, und sicher haben
die Autoren in ihrer These vom grundsätzlichen kulturellen Unterschied
zwischen Griechen und Römern Recht. Die abschließende Charakterisierung
der Griechen als positive Gefühlsmenschen mit Empathiefähigkeit, Erotik
und Romantik auf der einen und der Römer als emotional verkrüppelte und
ruhmsüchtige Kampfmaschinen auf der anderen Seite bleibt aber dennoch
zu oberflächlich. Es ist vollkommen richtig, dass Griechen und Römer
ein ganzer Kosmos trennt (S. 173); es ist aber nicht der von den
Autoren am Ende beschworene Makrokosmos, sondern – wie sie selbst am
Beginn ihres Buches fordern – jener, der sich erst durch ganz genaues
Hinsehen offenbart.
Andrea Schütze
Andrea Schütze München, Andrea Schuetze, Lupa Romana, Historikerin, Rechtshistorikerin, Althistorikerin, Mediävistin, Kunsthistorikerin, Rechtshistorikerin, Archäologin,
Rezension.
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