Rezension Andrea Schütze: Cay Rademacher, Mord im Circus Maximus
Literatur-Rezension
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Werkdaten:
Cay Rademacher,
Mord im Circus Maximus. Historischer Roman,
Allgemeine Reihe Bd. 15393
Bastei-Lübbe-Verlag
Bergisch-Gladbach 2005
ISBN 3-404-15393-6
477 S.,
Preis: 7,95 €
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der Rezension:
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Cay
Rademachers Kriminalroman „Mord im Circus Maximus“ bewegt sich zeitlich
im letzten Regierungsjahr des dritten flavischen Herrschers, Domitian,
bis zu dessen Ermordung im September 96 n. Chr.
Im Zentrum des Geschehens steht der römische Dichter Juvenal, der durch
die Macht des Schicksals nicht nur aus der Welt verwöhnter und devoter
Höflinge in den tiefsten Sumpf römischer Armutsviertel
hinauskatapultiert wird, sondern darüber hinaus gejagt, gehetzt und
verliebt bis ins Heilige Land gelangt, um verarmt und seiner alten Welt
verlustig, nach Rom zurückzukehren. Es ist ein weiter und bunter Bogen,
den Rademacher spannt.
Den Auftakt bildet das bei Cassius Dio überlieferte surreale Totenmahl
Domitians, gepaart mit Suetons Anekdote vom Fliegentöter Domitian.
Rademacher nimmt dieses Ereignis zum Anlass daraus das Bild einer
dekadenten, in ihrem übersteigerten Luxus übersättigten und
gelangweilten römischen Oberschicht zu zeichnen: Domitian, der sich an
der Angst seiner Gäste weidet und sich im schrittweisen Töten eines
kleinen Insekts ergeht, erscheint in gleicher Weise dekadent und
verweichlicht wie der Dichter Juvenal, der sich – trotz militärischer
Erfahrung – beim Erleben dieser „Gruftparty“ in eine geradezu
hysterische Panik mit zitternden Knien und Schweißausbrüchen
hineinsteigert.
Ein weiteres Schlaglicht wirft Rademacher auf den tobenden Mob in der
Arena während der Wagenrennen. Auch hier tritt dem Leser ein Bild der
Dekadenz aus Gewalt und Sex vor Augen. Domitian hingegen, der zu Beginn
der Erzählung dem Leser greifbar nahe herangerückt worden war, wird nun
in unerreichbar schemenhafte, unnahbare Ferne versetzt, aus der heraus
er nur schwer erkennbar und undurchsichtig zu agieren scheint.
Rademacher hat damit nicht nur eine Vorstellung von dem römischen
System des SPQR (Senat und Volk von Rom) gegeben, zu dem in der
römischen Kaiserzeit auch der Kaiser gehört, sondern damit auch
gleichzeitig die Beziehungen des Kaisers zu den jeweiligen Schichten
beleuchtet: Die Nähe und gefürchtete Macht Domitians gegenüber den
Senatoren auf der einen Seite und andererseits die unerreichbare
Distanz und die auf kaiserliche Freigiebigkeit basierende Begeisterung
der Bevölkerung für ihn.
Noch am Circus Maximus stolpert Juvenal über einen sterbenden Juden,
der in seinen blutverschmierten Händen einen kaum mehr lesbaren
Papyrus-Rest hält. Bei der Leiche trifft er auf den Unterschichtler und
Beutelschneider Archigenes - fortan sein Begleiter und Lebensretter -
ohne den Juvenal außerhalb des nobilitären Treibhauses zunächst kaum
lebensfähig erscheint. Zusammengeschweißt wird dieses ungleiche Paar
durch die Schlägertruppe des ehemaligen Gladiators Cilix, der irgendwie
und sehr undurchsichtig im Auftrag Domitians handelt und vom Zeitpunkt
dieses Zusammentreffens die Verfolgung und Jagd nach Juvenal aufnimmt.
Ein Rückkehrversuch Juvenals in seine alte Welt scheitert. Dem Leser
wird nur so viel eröffnet, dass hier offenbar eine sehr mächtige und
gefährliche Gestalt, der Kaiser selbst, die Fäden in einer
lebensbedrohenden Intrige gegen Juvenal zu ziehen scheint. Juvenal
bleibt daher nichts anderes übrig, als Archigenes in seine Welt zu
folgen.
Was für eine Welt - voll Armut und Elend, Gewalt und Härte, aber auch
des Glaubens. Der reiche Juvenal, der an nichts mehr glaubt, auch nicht
an den verordneten Staatskult und die Verehrung seines Kaisers als
„dominus et deus“, erlebt in Archigenes einen treuen Anhänger nicht des
für einen Sklaven erwarteten Christentums, sondern des Mithras-Kultes,
der zu dieser Zeit - gleich weiteren orientalischen Kulten - in
Konkurrenz zum aufkeimenden Christentum steht.
Beide versuchen sie nun den Fall zu lösen. Dabei machen sie weitere
Bekanntschaften: Einmal mit dem alten Essener Mardochai und dessen
schöner Begleiterin Rebecca, in die sich Juvenal unglücklich verliebt.
Doch Rebeccas Herz gehört einem anderen, dem Essener Johannes aus
Jerusalem, der dem Leser weiterhin als ständig gesuchtes Phantom
begegnet. In Konkurrenz zu den jüdischen Essenern treten der mächtige
und zum Christentum bekehrte Flavius Clemens, der Vetter Domitians, und
dessen eifernder Gehilfe Marcion. Sie alle stehen in undurchsichtiger
Verbindung zum Toten am Circus Maximus und dem rätselhaften
Papyrus-Rest.
Die weitere Handlung gestaltet sich durch die Verfolgungsjagd des Cilix
und die Suche nach einem verschollenen Papyrus aus der zerstörten
Bibliothek von Mesad Chasidim, einem Zentrum der Essener am Toten Meer,
das die römischen Truppen im Jüdischen Krieg zerstört hatten. Die Suche
bzw. Jagd führt die Protagonisten schließlich hinaus aus Rom; zunächst
hinab in die Ruinen des untergegangenen Pompeji, dann auf das Schiff
des tollkühnen Kapitäns Nigidius und schließlich ins Heilige Land, wo
sich nach einem Abstecher in Jerusalem am Toten Meer in den Ruinen und
Höhlen von Mesad Chasidim der letzte Akt ereignet.
Hier treffen alle Gestalten zusammen: Jäger und Gejagte, Suchende und
Gesuchter. Johannes erweist sich als Schlüsselfigur für den Mordfall,
der gegenüber den wahren Gründen und Motiven an Bedeutung verliert. Der
gefundene Gesuchte zeigt sich nicht nur in den Mordfall verstrickt,
sondern entpuppt sich nebenbei als unentdeckt konvertierter Christ, der
den Neronischen Brand von Rom zu verantworten hatte und wird – das
lässt Rademacher durchblicken – auch der zukünftige Evangelist Johannes
und Verfasser der Apokalypse sein.
Diese wissenschaftliche unhaltbare Phantasie (in einem im Übrigen gut
recherchierten Roman) mag neben anderen historischen Unrichtigkeiten
nicht recht gefallen.
Im Rahmen von Rademachers ansonsten wirklich grandioser Fähigkeit zu
beschreiben, fällt auf, dass die Charaktere stereotyp und farblos
erscheinen. Es sei hier nicht allein auf die auffallende Floskel des
„Grinsens“ hingewiesen, das fast die gesamte Kommunikation der Figuren
zu dominieren scheint und die Frage abnötigt, ob es nicht auch noch
weitere denkbare Nuancierungen geben könnte, sondern auch die
Persönlichkeitsstrukturen bleiben irgendwie an der Oberfläche und
platt. Domitian beispielsweise erscheint genauso farblos sadistisch,
wie Flavius Clemens, dessen Christlichkeit man nicht ganz abnehmen
möchte und dessen noch unglaublicherer vorgetäuschter Tod (zum Erhalt
als Handlungsfigur offensichtlich erforderlich) im krassen Widerspruch
zur historischen Realität. Gleich verhält es sich bei Rebecca, die sich
in Liebe zu Johannes verzehren soll und bereit wäre ihm überallhin zu
folgen, die aber nie auch nur die Tiefe echter, liebender Leidenschaft
erspüren lässt. Einzig gelungen erscheint Nigidius, der als durchaus
witzige Figur charakterisiert wird. Doch würde der Witz in gleicher,
wenn nicht in besserer Weise, erhalten bleiben, würde der Autor ihn
nicht auch zum karikaturistischen Gnom zusammenschrumpfen. Die Art und
Weise wie der Autor Habitus und Stimme des Nigidius zusammenführt,
fallen unangenehm auf.
Das kann auch gesagt werden von der (allein!) literarischen These, der
spätere Evangelist Johannes, der zugleich auch Jude und Christ war, sei
nicht nur ein Mörder, sondern - in Konsequenz der Anlastung Rademachers
als eigentlicher Urheber des Brandes von Rom und der sich
anschließenden Christenverfolgung unter Nero - auch eine Art
Massenmörder gewesen. Das sind Dinge, die dem Leser schon fast
unerträglich unangenehm auffallen. Da mögen weitere historische
Unrichtigkeiten und zu leichtgläubige Quellenrezeption, die sich auch
bisweilen finden, unerwähnt bleiben.
Das Ende des Romans hält nicht, was der Anfang verspricht. Vielmehr
erscheint der Schluß - ohne die feine Ausarbeitung des Anfangs – zu
eindeutig und durchsichtig konstruiert. Ein Kritikpunkt, der den
gesamten zweiten Teil der Geschichte betrifft, der von einer endlosen
und auch den Leser schon ermüdenden (weil ewig gleichen) Jagd durch das
Imperium bestimmt wird.
Dies fällt umso deutlicher ins Auge, als der Autor an anderer Stelle
durchaus in seiner Erzählleistung zu brillieren weiß.
Grandios eröffnet Rademacher dem Leser die beklemmende Atmosphäre der
Intrige der Macht, wie sich das Unheil in der Gestalt Domitians um den
Dichter zusammenbraut. Hervorragend versteht Rademacher dem Leser das
Klick-Klack-System der Günstlinge am Hof Domitians vor Augen zu führen,
die von Juvenal bereits in dem Zeitpunkt abrücken, als auch nur der
Anschein eines kaiserlichen Gunstverlustes zu drohen scheint. Ein
faszinierender Erzählstrang, den Rademacher leider nicht konsequent bis
zum Ende durchgehalten hat.
Dennoch: In geradezu überragender Weise versteht er es Situationen und
Stimmungen einzufangen, was ihm bei den Charakteren leider nicht
gelingt. Die nächtliche Gruftparty im Palast Domitians, das bunte
Treiben auf den Straßen und Märkten Roms, der Ausnahmezustand in Circus
und Arena, der unbeschreibliche und nahezu erfahrbare Schmutz und
Gestank in den Armenvierteln Roms, die unheimliche Totenstimmung im
verschütteten Pompeji gehören in gleicher Weise zu einer faszinierenden
Erzählleistung Rademachers, wie der tosende Sturm auf dem Mittelmeer
und das Heilige Land.
Rademacher gelingt es in allen diesen Bereichen nicht nur ein sehr gut
recherchiertes Bild wiederzugeben, sondern er versteht es auch dem
Leser diese Welt sichtbar, erlebbar, erfahrbar bis hin zum sinnlich
Wahrnehmbaren vorzustellen. Es ist ihm hier wirklich gelungen antikes
Leben erneut zum Leben zu erwecken.
Nicht seiner Handlung und Gestalten wegen, sondern wegen des prächtigen
Bildes von antiker Realität und Mentalität verdient es dieses Buch
gelesen zu werden.
Andrea Schütze
Andrea Schütze München, Andrea Schuetze, Lupa Romana, Historikerin, Rechtshistorikerin, Althistorikerin, Mediävistin, Kunsthistorikerin, Rechtshistorikerin, Archäologin,
Rezension.
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