Rezension Andrea Schütze: Rainer Pöppinghege, Tiere im Krieg
Wissenschaftliche Rezension
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Werkdaten:
Rainer Pöppinghege (Hrsg.):
Tiere im Krieg. Von der Antike bis zur Gegenwart,
Schöningh Verlag
Paderborn u.a. 2009
ISBN-10: 978-3-506-76749-3
280S.,
Preis: 29,90 €.
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Weitere Erscheinungsorte
der Rezension:
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Wir
leben in einer Gesellschaft, in der allein in bundesdeutschen
Haushalten über 23 Millionen Haustiere gehalten werden[1], in der der
Markt für Heimtierbedarf trotz Wirtschaftskrise im Wachstum begriffen
ist und Tierschutz ein Thema darstellt, das geeignet ist, die Gemüter
hochschnellen zu lassen. „Tiere im Krieg“ begegnen uns dagegen nur noch
in Kriegs- und Historienfilmen. Diese heute ferne Realität beleuchten
die im vorliegenden Band versammelten 16 Beiträge in Ausschnitten aus
unterschiedlichen Epochen.
Rainer Pöppinghege schildert in der Einleitung die Schwierigkeiten,
eine Auswahl kriegsbeteiligter Tiere und ihrer Verknüpfungen mit dem
Menschen vorzunehmen.[2] Als wichtig erweist sich – trotz aller
nüchterner Betrachtungsweise – die Beziehung zwischen Mensch und Tier,
die sich auch im Krieg nicht auflösen lässt, weil Tiere entweder
wichtige Ausgleichsfaktoren im Alltag des Kriegswahnsinns boten[3] oder
Sympathieträger darstellten (vgl. zum Beispiel S. 237). Bis heute
vermögen sie medial wichtige Identifikationsplattformen für die zivile
Außenwelt des Krieges zu schaffen (vgl. zum Beispiel S. 275). Die
Beiträge sind in die drei Abschnitte „Bellizierung“, „Mystifizierung“
und „Medialisierung“ untergliedert. Abgerundet wird der Band von einem
Autorenverzeichnis; Literaturverzeichnisse, ein Register oder ein
Abbildungsverzeichnis wurden nicht erstellt.
Sehr überzeugend vermittelt Holger Müller (Tiere als Kostenfaktor in
antiken Kriegen, S.15–31), dass die für den Einsatz mächtiger
Tierwaffen erforderlichen Aufwendungen finanzieller und logistischer
Art nicht weniger spektakulär waren: Anhand der Beispiele Pferd und
Kriegselefant exemplifiziert Müller die Rechtfertigung dieses immensen
Aufwandes durch eine nicht zu überschätzende militärische Wirkkraft.
Ähnlich gelagert erscheint zunächst der Beitrag von Sebastian Buciak
(Kriegselefanten – Giganten an der Front, S. 33–46). Allerdings legt
Buciak seinen Schwerpunkt auf die militärische Effizienz. Nicht anders
als entlarvend mag man den Beitrag von Martin Clauss (Waffe und Opfer –
Pferde in mittelalterlichen Kriegen, S. 47–63) empfinden, denn Clauss
seziert das von der Literatur gepflegte Bild des Kämpfers zu Pferde und
seines feurigen Schlachtrosses im Mittelalter. So korrigiert er diese
Vorstellung durch die Tatsache, dass nur eine Minderheit der
Kriegspferde Schlachtrösser waren, die Überzahl diente vielmehr
logistischer Zwecke. Mit Blick auf das Bild vom Schlachtross kehrt
Clauss nicht nur die Effizienz der Waffe Pferd, sondern auch ihre
Schwachstelle heraus, sei es als gezieltes Opfer der Gegner oder
eigener schlechter Versorgung.
In einem mit zahlreichen Belegen versehenen Aufsatz betont Felix
Schürmann (Herrschaftsstrategien und der Einsatz von Pferden im
südwestlichen Afrika, ca. 1790–1890, S. 65–85) die Rolle des Pferdes
für die koloniale Entwicklung in Afrika: Neben seiner Bedeutung als
Prestige- bzw. Herrschaftsabzeichen eröffnete es erst die Möglichkeit
einer Ausbreitung territorialer Herrschaft. In seinem sehr lesenswerten
Aufsatz „Kamele im Krieg – eine Kavallerie für unkonventionelle
Kampfeinsätze“ (S. 85–102) beschreibt Elmar Janssen die Eigenheiten
dieser für Europäer so ungewohnten Kriegstiere, deren stoische Art
selbst in Leid und Tod noch unberückbar erschien. Als sehr
facettenreich darf der Beitrag „‚Außerordentlicher Bedarf für das
Feldheer‘ – Brieftauben im Ersten Weltkrieg“ (S. 103–117) von Rainer
Pöppinghege und Tammy Proctor bezeichnet werden, in dem die Autoren
Einsatz und Image der heute als „Ratten der Lüfte“ geschmähten,
dereinst jedoch sehr populären gefiederten Helden untersuchen. Vor der
Folie des Ersten Weltkrieges eröffnen sie dem Leser zwei ungleiche
Kombinationen: einerseits den Konflikt anhaltend effizienter, alter
Kriegsmittel im Wandel zunehmender Technisierung, andererseits das
Aufeinandertreffen der emotional-bürgerlichen Welt der Kleintierzüchter
und der kalt berechnenden, harten Kriegsrealität.
In einer auch dem Laien gut verständlichen Weise bespricht Anne-Kathrin
Wese in „Die Tierseuche als militärisches Problem. Zur Bedeutung des
Rotzes im Ersten Weltkrieg am Beispiel der 11. Bayerischen
Infanterie-Division“ (S. 119–133) den Fall der Rotzseuche, anhand
dessen sie nicht nur auf die Achilles-Verse einer auf ihre
Pferdebestände angewiesenen Kriegsmaschinerie hinweist, sondern den
Leser auch mit der Ambivalenz „deutscher Gründlichkeit“ konfrontiert:
Einerseits wurden ausgefeilte Prophylaxesysteme entwickelt,
andererseits versuchte man die gezogenen Erkenntnisse für Bio-Waffen zu
nutzen. Nach einem Überblick über die Biene als historische Kriegswaffe
informiert Jodok Troys Beitrag „‚Die gläserne Biene‘ – Honigbienen in
der Kriegsführung“ (S. 135–147) über aktuelle militärische Forschungen,
in denen der besondere Geruchsinn dieser Tiere für ein höchst
effizientes Aufspüren von Landminen eingesetzt wird. In seinem Beitrag
„Der afghanische Jihad von 1985 bis 1992. Waffenlieferungen und
Maultiere“ (S. 149–158) vermittelt Albert Stahel zwar einen sehr
umfangreichen Einblick in die auch im heutigen Afghanistan-Konflikt
relevanten historischen Verknüpfungen, dabei gerät ihm allerdings der
eigentliche Schwerpunkt, der Einsatz speziell gezüchteter
amerikanischer Maultiere, die bis heute logistisch wertvolle
Militäreinsätze leisten, etwas zu kurz.
In einem breiten Fächer von altorientalischen und ägyptischen Mythen
und Herrscherikonographien bis hin zu Comics des 21. Jahrhunderts
beleuchtet Matthias Naumann (Der Löwe und die Löw/innen. Das sich
wandelnde Auftreten eines Wappentiers kriegerischer Politik, S.
161–180) die Bedeutung des Löwen und seines weiblichen Pendants als
Vertreter von Macht und Freiheit. Heiko Hiltmann (Das Tier im Mann –
Altnordische Tierkrieger-Erzählungen, S. 181–197) setzt sich mit dem
Bild des Wolfs auseinander: Am Beispiel tierisch-gewalttätiger
Männlichkeitsvorstellungen und magischer Tierrituale in nordischen
Sagas zeichnet er deren literarische Entwicklung vom zunächst dem
Göttervater Odin nahestehenden Männerideal hin zum heidnisch-negativen
Kriegerethos nach. Die Raben des Londoner Towers, 1870 eingeführt, um
dem Tower einen touristischen Schauereffekte zu verleihen, avancierten
nach dem Zweiten Weltkrieg zu Nationaltieren und Schutzsymbolen des
Britischen Empires. Am Beispiel ihrer Mythenbildung hinterfragt Boria
Sax in „The Tower Ravens as Mascots of Britain in World War II“ (S.
199–213) die bemerkenswerte Tatsache der Akzeptanz des Inakzeptablen,
sobald es durch Krieg oder Medien vermittelt wird.
„All the Muddy Horses: Giving a Voice to the Dumb Creatures of the
Western Front (1914–1918)“ (S. 217–234) von Gene M. Tempest gehört
sicherlich zu einem der schockierendsten Beiträge des Bandes. Entgegen
heutiger Wahrnehmung spielten nicht allein Motoren, sondern auch 18
Millionen Pferde, die „unsung heroes of the war“ (S. 219), eine eminent
kriegstragende Rolle im Ersten Weltkrieg. Die Beschreibung von
unglaublichen Strapazen, denen diese Tiere ausgesetzt waren, und
schrecklichem Sterben in schrillen Schreien als „last acts […] of
unbelievable suffering“ (S. 226) führt nicht allein eine rein
wirtschaftlich und mechanisch denkende Kriegsmaschinerie vor, sondern
zeigt auch, wie sehr ihr Schicksal diese Tiere zu medialen
Informationsträgern werden ließ, indem sich in ihnen tierisches
Schicksal und menschliche Emotionen verquickten, um patriotische
Stimmungen zu erzeugen. In seinem zweiten Beitrag „Abgesattelt! Die
publizistischen Rückzugsgefechte der deutschen Kavallerie seit 1918“
(S. 235–250) setzt sich Rainer Pöppinghege mit der elitären und
prestigebehafteten Waffengattung der Kavallerie auseinander. Auch hier
– wie schon zuvor an den zahlreichen Beiträgen rund um den ersten
Weltkrieg – wird erneut das Aufeinandertreffen moderner Kriegs- bzw.
Waffenrealität mit traditionellem und beinahe schon fortschrittsblindem
Kriegerethos exemplifiziert. Nicht ganz unproblematisch erscheinen
allerdings die verwendeten Grafiken, die keinesfalls als
selbsterklärend betrachtet werden können.
Nach dem traditionellen Krieg wendet sich Roman Marek mit
„Weltraumhunde im Kalten Krieg: Laika als Versuchstier, Propagandawaffe
und Heldin“ (S. 251–268) einem wesentlich auch medial geführtem Krieg
zu: Sehr überzeugend entlarvt Marek am Beispiel des Schicksals der
russischen Hündin Laika und anderer Vergleichstiere, wie sehr die
Wahrnehmung des Falles dem damals vorherrschenden Ost-West-Denken
unterlag und in welchem Maße die menschliche Empathie für diese Tieren
durch mediale Steuerung beeinflusst wurde. Ramón Reichert untersucht in
„Die Medialisierung des Tieres als Protagonist des Krieges“ (S.
269–278) die militärische Sprach- und Bilderwelt in
Tierdokumentationen. Dem Autor ist sicher darin zuzustimmen, dass die
Verwendung bekannter Darstellungsschemata bestens geeignet erscheinen,
Informationen – augenscheinlich oder unterschwellig – medial an den
Konsumenten zu vermitteln. Allerdings halte ich diese Sichtweise für zu
einseitig: Eine Darstellung des Lebens von Wildtieren mit
Kriegsmetaphorik liegt nicht allein darin begründet, wie der Autor
meint, dass über militärische Vorstellungswelten natürliche Abläufe
medial vermittelt werden können. Ein weiterer Punkt ist sicherlich auch
die durchaus existente und den Betrachter ansprechende Kriegs- und
Gewaltästhetik, die als jüngstes Beispiel etwa die Macher des Filmes
„Unsere Ozeane“ zu zahlreichen gleichartigen Darstellungsweise bewegt
hat. Ein anderer wichtiger Aspekt für diese Inszenierung liefert die
Bionik: So wären beispielsweise Kriegswaffen wie der Tarnkappenbomber
ohne Beobachtungen an natürlichen Vorbildern kaum denkbar.
Der Band bietet zahlreiche interessante Perspektiven auf das Verhältnis
von Mensch und Tier im Krieg und dessen teilweise fragwürdige
emotionale Ambivalenz, er vermag den Leser dabei mitunter auch zu
bedrücken und zu erschüttern. Das Buch liefert so einen schönen und
weitgefächerten Einstieg für jeden, der sich der Materie der
Kriegstiere nähern möchte, und gibt zahlreiche, wenn auch etwas mühsam
allein über Fußnoten erschließbare Literaturhinweise an die Hand.
Andrea Schütze
Andrea Schütze München, Andrea Schuetze, Lupa Romana, Historikerin, Rechtshistorikerin, Althistorikerin, Mediävistin, Kunsthistorikerin, Rechtshistorikerin, Archäologin,
Rezension.
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