Rezension Andrea Schütze: Marie Philipps, Götter ohne Manieren
Literatur-Rezension
Was
macht eigentlich ein Gott an den keiner mehr glaubt? Diese
philosophisch-theologisch interessante Frage stellt Marie Phillips in
ihrem Buch und beantwortet sie zugleich recht frech: Er passt sich an...
und wenn man auf die griechischen Götter blickt, die sich in Phillips´
Buch tummeln, dann macht das der ein oder andere auch ganz erfolgreich.
Die griechischen Götter, an die keiner mehr glaubt und die trotz ihrer
auffälligen Namen offenbar auch keiner erkennt, sind keineswegs tot,
sondern leben seit dem 17. Jahrhundert in einem kleinen Haus in London,
das in den Jahrhunderten fehlender Reinigung und Pflege vollkommen
heruntergekommen ist. Dort fristen sie ihr Dasein und zehren von den
alten Glaubensfettreserven ihrer längst vergangenen paganen Kulturwelt.
Während der alte Göttervater Zeus - wegen Kräfteverschwendung zum
Pflegefall verkommen - in einer dunklen Abstelle auf dem Dachboden sein
Dasein fristet, schlägt sich Artemis als unterbezahlte und leicht
frustrierte Hunde-Gassi-Geherin durch. Aphrodite hingegen, die mit
ihrer schlüpfrigen Art im Leben der Sterblichen für reichlich Wallung
und Verwirrung sorgt, zieht die Profession als Telefonsexanbieterin
einer Modell-Karriere vor, während Eros in Jesus Christus sein
religiöses Pendant in Sachen Liebe erkannt zu haben glaubt und zum
Christentum übergewechselt ist. Dionysos, ehemaliger Party- und
Weingott mit einem deutlichen Suchtproblem, mixt als DJ und
Nachtclubbesitzer in der Hausküche seine Grooves und Ares, der sich mit
Apoll das Zimmer teilt, ist engagierter Kriegsaktivist (eine Umkehrung
des üblichen Bildes vom Friedensaktivisten). Im Mittelpunkt dieser
bunten Götterwelt steht allerdings der eitle Schönling und Frauenheld
Apoll, der sein Bedürfnis nach medialer Bewunderung in einer schäbigen
Astro-Show stillt. Dort tritt der Gott der Weissagung als TV-Hellseher
vor einem Publikum auf, das in der Hauptsache aus routinierten und
gelangweilten älteren Frauen besteht.
Sein erster Fernseh-Auftritt endet in einem medialen Fiasko und wird
zum Anknüpfungspunkt für die gesamte weitere Handlung. In dieser
Fernsehshow beginnen sich die Bahnen der Götterwelt und zweier vom
Leben und der Welt vergessener Sterblicher schicksalshaft zu kreuzen.
Alice, Anfang 30, fleißig wie umsichtig und altbackene Brillenträgerin,
führt als unscheinbare Putzfrau des Fernsehstudios ein sehr
zurückgezogenes Leben, das sich bereits gefährlich in altjüngferliche
Bahnen mit Kitsch und Nippes auf dem Kaminsims und einer an Pedanterie
grenzenden Ordnungsliebe einzugraben beginnt. Eigentlich ist sie eine
Frau, die nur Vorteile besitzt, würde sie mehr aus ihrem Typ machen und
wäre sie nicht entsetzlich schüchtern.
Darin übertroffen wird sie eigentlich nur noch von ihrem männlichen
Pendant, Neil, den Marie Phillips – entsprechend dem
Spiegelbild-Prinzip – in der Reflexion von Alices Brillengläser näher
beschreibt als „eine kleine maulwurfsähnliche Gestalt mit drahtigem
dunklem Haar, das ihm wie eine Bürste vom Kopf“ steht (S. 29). Auch er
befindet sich auf dem besten Weg ein eingefleischter Junggeselle zu
werden mit einem Leben vor dem Computer, Comics, Bücher, „Betamax- und
VHS-Kassetten sowie seine DVD-Sammlung“ in Regalen, streng „nach Genres
geordnet und dann nach dem Alphabet“ sortiert (S. 59). In konsequenter
Umsetzung des Bildes von einem pedantischen Messie im Anfangsstadium
bildet sein Stolz eine „Sammlung kompletter Fernsehserien, die er über
fast drei Jahrzehnte aufgenommen hatte“ (S. 59). Beide
lieben sich, doch kommt man sich wegen der gegenseitigen Schüchternheit
nur mühsam bis gar nicht über das Scrabble-Spiel näher.
Als Alice die Initiative ergreift, es wagt Grenzen zu überschreiten und
entgegen dem Gebot des Filmstudios Neil in eine Fernsehsendung Apolls
begleitet, verliert sie auch prompt ihre schlecht bezahlte Stellung.
Gerade an diesem Tag rächt sich Aphrodite an Apoll und lässt ihn durch
Eros´ Liebes-Pfeil verwunden, woraufhin er in unstillbar glühender
Liebe zu Alice entbrennt, die unscheinbar im Publikum sitzt. Nach dem
Verlust ihres Arbeitsplatzes führt sie das Schicksal wiederum zu Apoll
- dieses Mal als Putzfrau der Götter - und damit nimmt eine turbulente
Liebeskomödie ihren Anfang.
Marie Phillips greift in ihrem Roman verschiedene klassische
Erzählmotive auf. So das schon aus der antiken Theaterwelt bekannte
Phänomen des „deus ex machina“, der hier nicht allein in Gestalt eines
einzigen Gottes, sondern einer ganzen Götterfamilie in das Leben von
Neil und Alice hereinbricht und deren stagnierende Liebesentwicklung
erst richtig auf Touren bringt. Weiter verwendet sie das Motiv des von
der Männerwelt übersehenen, unscheinbaren Mädchens mit Job-Verlust
(Gegenstand vieler US-Liebeskomödien), die plötzlich vor die
Entscheidung zwischen zwei Männer gestellt wird, die sich beide in sie
verliebt haben und die unterschiedlicher nicht sein könnten. So stellt
Neil den soliden, unscheinbaren Männer-Typ dar, der mit seinen tiefen
Gefühlen zunächst die schlechteren Karten im Liebenswerben zu besitzen
scheint, während Apoll den bislang oberflächlichen, eitlen Schönling
abgibt, der als Traummann erstmals seine tiefen Herzensregionen
entdeckt.
Für sich betrachtet wirken diese bekannten Elemente zwar etwas
abgedroschen. Marie Phillips gelingt es jedoch sie zu einer schnellen
und vergnüglichen Geschichte neu zu arrangieren. Leider geht sie in
ihrer witzigen Charakterisierung der Figuren manchmal etwas (zu) weit
und entzieht damit ihren Figuren einiges an Attraktivität.
Beispielsweise hätte es der etwas platt und aufdringlich präsentierten
Götterattribute nicht bedurft. Auch ist nicht alles in seiner Bedeutung
richtig erkannt. Das Pendant der Nächstenliebe von Jesus Christus passt
nicht recht zur sexuellen Liebe, die Eros verkörpert. Doch sollte das
im Vergleich zu einer pfiffigen Erzählidee nicht zu schwer bewertet
werden und an schönen szenischen Einfällen hat das Buch eine Menge zu
bieten, wie zum Beispiel der Fernsehabend bei den Göttern oder Apolls
Absturz am Bartresen von Dionysos´Nachtclub „Bacchanalia“, wo er seinen
Liebeskummer um Alice im Alkohol ertränkt.
Bisweilen wirken Sprache und Handlung im Zusammenhang mit den Göttern
etwas drastisch-derb und möglicherweise gewöhnungsbedürftig, wie die
einleitende sexmüde Szene zwischen Apoll und Aphrodite. Dies macht
allerdings durchaus Sinn. In ihrer antik-derben Farblichkeit tritt die
griechische Götterwelt in gekonnten Kontrast zur gepflegt verklemmten
(Sprach-)Welt der christlichen Abendlandkultur, aus der die beiden
menschlichen Hauptdarsteller stammen.
Marie Phillips hat mit ihren „Göttern ohne Manieren“ kein
tiefschürfendes Werk, jedoch unterhaltsame Belletristik geschaffen, die
garantiert einen schnellen und vergnüglichen Lesespaß bietet.
Andrea Schütze
Andrea Schütze München, Andrea Schuetze, Lupa Romana, Historikerin, Rechtshistorikerin, Althistorikerin, Mediävistin, Kunsthistorikerin, Rechtshistorikerin, Archäologin,
Rezension.
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