Rezension Andrea Schütze: Stefan Pfeiffer, Die Flavier
Wissenschaftliche Rezension
|
Werkdaten:
Stefan Pfeiffer:
Die Zeit der Flavier,
WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Darmstadt 2009
ISBN-10: 9783534208944
134S.,
Preis: 14,90 €.
|
Weitere Erscheinungsorte
der Rezension:
|
Verglichen
mit dem in zeitloser Schönheit erstarrten Augustus, den
skandalumwitterten Mitgliedern des julisch-claudischen Kaiserhauses und
dem oft verklärten Zeitalter kultureller Blüte der Adoptivkaiser
fristeten die derb wirkenden, vierschrötigen Kaisergestalten der
Flavier mit dem schon fast schockierenden Realismus eines Vespasian in
der Forschung lange Zeit ein wenig attraktiv wirkendes Dasein. Die
aktuelle Forschung, die sich mit neuen Fragen Gewalt, Krieg und Medien
zuwendet, hat dieses Bild verändert. Dennoch fehlte bislang eine knappe
und kompakte Einführung in diese Epoche, die den Interessierten
fundiert mit den entscheidenden Streitständen und Problempunkten
vertraut macht. Diese Lücke füllt nun Pfeiffers „Die Zeit der Flavier“
aus der Reihe „Geschichte kompakt“, deren Herausgeber sich zum Ziel
setzen, „auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung“ Interessierten
eine fundierte Einstiegsgrundlage zu bieten und „komplexe und
komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich und gut lesbar
darzustellen“ (S. VII). Der Band zeichnet sich durch einen dreiteiligen
Aufbau aus: Drei Abschnitte (Vorbemerkungen, Quellenübersicht,
Vierkaiserjahr) führen zum Hauptteil, der Darstellung der Regierungen
der drei flavischen Herrscher Vespasian, Titus und Domitian hin,
während wiederum drei Abschnitte (Provinzen, Religiöse Entwicklungen,
Bilanz einer Epoche) einen vertiefenden Ausklang bieten. Eine
Auswahlbibliographie und ein Register vervollständigen das Werk.
Zeittafeln, Exkurse und Quellenbelege lockern auf und schaffen einen
zeitlichen Rahmen. Die sprachliche Gestaltung ist klar, leicht
verständlich und gut lesbar.
Gleich zu Beginn stellt Pfeiffer dem Leser die wichtigsten Quellen zur
Flavierzeit vor, wobei Tacitus und Sueton am ausführlichsten besprochen
werden. Dabei versteht er es, Sueton vom Stigma des „Klatschreporters“
(S. 2) freizusprechen, bleibt meines Erachtens jedoch in der Bewertung
zu wenig quellenkritisch. Gerade da die Quellen aus späterer Zeit das
Gros unserer Belege für die Flavier darstellen, ihre Autoren also nicht
mit zeitgenössisch-flavischer Perspektive schrieben, sondern unter
anderen Vorzeichen (Ermordung Domitians oder damnatio memoriae) ihre
Wertungen vornahmen, sollten deren Tendenzen klarer herausgearbeitet
werden. Pfeiffer stellt dies im Falle des Tacitus zwar grundsätzlich
richtig dar (S. 1). Etwas irreführend erscheint mir hingegen Pfeiffers
Formulierung: „beide stimmen aber in ihrer Grundhaltung zu den
jeweiligen Kaisern überein“ (S. 2). Die inhaltlich zwar richtig
festgestellt Kongruenz zwischen Tacitus und Sueton könnte aber ohne
weitere Erläuterung dem anvisierten Leserkreis zur fehlerhaften
Schlussfolgerung verleiten, ihnen gerade aufgrund dieser Feststellung
eine gesteigerte Glaubwürdigkeit (speziell im Fall des letzten
Flaviers) beizumessen. Weiter hätte für Tacitus in diesem Zusammenhang
nicht allein auf „seine senatorisch-republikanisch aufrechte Gesinnung“
(S. 1) hingewiesen, sondern auch die Problematik um den Schwiegervater
Agricola angesprochen werden müssen, dessen Schicksal mitbegründend für
seine Haltung war. Gleiches gilt für die Wendehalsmentalität des
jüngeren Plinius, auch sie hätte thematisiert werden können; Martial
und Statius zusammen in nur einem Satz zu würdigen, dürfte auch im
Rahmen einer Einführung eindeutig zu kurz greifen. Pfeiffer eröffnet an
dieser Stelle auch einen Blickwinkel über den althistorischen
Tellerrand hinaus auf die wichtigen archäologischen Quellengattungen;
mit erfreulicher interdisziplinärer Offenheit betont der Verfasser,
dass es „Aufgabe der Althistoriker ist […], die Erkenntnis der
archäologischen Forschung mit in die Interpretation der flavischen
Geschichte einzubeziehen“ (S. 2).
Die Darstellung des Vierkaiserjahres, eine aufgrund teils paralleler,
teils gegenläufiger Handlungsstränge gerade für den Einsteiger
schwierige Materie, ist Pfeiffer durchaus gelungen, auch wenn Neros Tod
zunächst etwas im Raume stehen bleibt. Hervorragend beleuchtet Pfeiffer
den mit Neros Tod einhergehenden Politikwechsel, das Agieren des an
Bedeutung verlierenden Senats und die zunehmend offene
Machtakkumulation des Militärs, das nunmehr als Mittel der Kaiser zur
Herrschaftslegitimation und -stablilisierung diente. Dies gilt
insbesondere für die in diesem Ringen als Sieger hervorgegangenen
Flavier, die nicht mit Ahnen, sondern militärischer virtus punkten
konnten – ursprünglich ein Ideal der republikanischen Elite.
Pfeiffers präziser Blick für die inneren Zusammenhänge fällt in der
Darstellung an zahlreichen Stellen auf, so auch in der Beschreibung der
flavischen Herrscher. In seinem Vespasian-Kapitel spielen daher weniger
biographische, als politische Aspekte eine Rolle, der manche bereits
zum Wissenskanon aufgestiegene Anekdote um Vespasian zum Opfer fiel.
Überaus positiv ist es aus dieser Perspektive zu bewerten, dass dem
Einsteiger von Anfang an die strategische Politik Vespasians nahe
gebracht wird, die zunächst als eine traditionelle Fortsetzung der
julisch-claudischen erscheint, realiter aber – wie Pfeiffer überzeugend
herausarbeitet – sich jedoch als eine eigene, weit darüber
hinausgehende entpuppt. Die die flavische Zeit kennzeichnenden
(verhaltenen oder offenen) Konfrontationen des Kaisers mit dem Senat
und anhängenden Philosophenkreisen werden als Konflikt zwischen
flavischem Dynastiewillen und senatorischer Vorstellung vom
Adoptivkaisertum verständlich. Gelungen stellt Pfeiffer die reiche
Palette politischer Variationen vor, deren sich Vespasian machtbewusst
bediente; so analysiert er beispielsweise das Bestallungsgesetz
Vespasians, das ihm eine klar geregelte Rechtsgrundlage verschaffte,
die schon sprichwörtlich gewordene Finanzpolitik Vespasians (pecunia
non olet) oder die ideologisch hoch aufgeladene und fein durchdachte
Baupolitik im Dienste der neuen Dynastie. Für Titus stehen zunächst
einzelne historische Ereignisse wie Flaviertriumph, Vesuv-Ausbruch,
Brand Roms oder das Seuchenproblem im Vordergrund. Dennoch lenkt
Pfeiffer auch hier den Blick tiefer, etwa auf den schlagartigen Wandel
des Titus vom „bösen Prinzen“ hin zum Ideal des „guten Kaisers“. Auch
für Titus gilt das politische Traditionsprinzip unter gleichzeitigem
Beschreiten eigener Wege bis hin zur Verdrängung des eigenen Vaters,
was sich etwa am Titusbogen zeigt.
Der dritte Flavier Domitian wird teils exzellent, teils weniger
gelungen erörtert: Hervorragend und damit gewissermaßen auch das
„Filetstück“ dieser Kaiservita ist Pfeiffers Darstellung von Domitians
programmatischer – und hinter der des Vaters wohl nicht zurückstehender
– Baupolitik (auch wenn nicht alle Ausführungen zu den
Cancelleria-Reliefs korrekt sind).[1] Überzeugend ist auch die Analyse
des Spannungsverhältnisses zwischen Domitian und der römischen Elite
anhand „drei antidomitianische[r] Kreise“ (S. 73). Schön
herausgearbeitet sind zudem die weiteren Schwerpunkte in der
Herrschaftspraxis Domitians, so die (verfehlte) Sittenpolitik des
Kaisers, die unklare Differenz zu Vater und Bruder oder auch der
Einstieg Domitians in die Geschichte während des Kapitol-Brandes 69
v.Chr. Bedauerlich bleibt, dass Pfeiffer im Zusammenhang mit letzterem
Ereignis nicht seine enorme propagandistische Bedeutung im Rahmen der
kaiserlichen Selbstdarstellung betont, die den Kaiser sogar zu einem
selbst verfassten Epos veranlasste. In diesem Kapitel fehlen fast
vollständig die Rekurse auf Domitians militärische Einsätze in
Germanien und Dakien. Pfeiffer handelt dies zwar im anschließenden
Abschnitt über die „Provinzen“ ab, doch geht meines Erachtens dadurch
viel für die Gestalt Domitians verloren. Eine derartige Auslagerung
erweist sich im Fall von Vespasian und Titus als nicht weiter
problematisch, da deren Regierungen deutlich militärisch geprägt sind
und im entsprechenden Abschnitt jeweils auch ausreichend auf diese
Konflikte hingedeutet wird, ohne eine Schieflage zu erzeugen. Im Falle
Domitians ist dies jedoch nicht in gleicher Weise gelungen: So geht
etwa ein wesentliches (auch von den Quellen angesprochenes) Argument
für das brüderliche Spannungsverhältnis und das herrscherliche
Akzeptanzproblem Domitians verloren, mit dem dieser sich konfrontiert
sah. Im Vergleich zu seinen Vorgängern und Nachfolgern entwirft
Pfeiffer damit ein zu ziviles Bild Domitians, das gerade auf der
Darstellung der nicht unproblematischen nachdomitianischen Quellen
beruht und bei genauerer Betrachtung wohl nicht zu halten ist.
Für die Auslagerung der Kapitel „Provinzen“ und „Religiöse
Entwicklungen“ sprechen sicherlich gute Argumente, doch erscheint mir
dieser Nachtrag gerade im Hinblick auf den Darstellungsfluss als etwas
störend. Auch in drei weiteren Punkten kann Kritik nicht verschwiegen
werden: Pfeiffer bietet dem Leser viele sehr gute Exkurse; die damnatio
memoriae wird hingegen von ihm eindeutig zu oberflächlich und zu kurz
betrachtet. Problematisch ist zudem, dass zahlreiche Literaturhinweise
im Text (lediglich Autorennachname und Jahreszahl werden genannt) im
Literaturverzeichnis nicht aufgeführt werden – ein Mangel, der den
Einstieg erschwert.[2] In einer solchen Einführung muss sich der Autor
im Literaturverzeichnis zweifellos auf ein Auswahl beschränken,
allerdings sollte beispielsweise Barbara Levicks Vespasian-Biographie
nicht fehlen.[3]
Möglicherweise hätte man sich an dem einen oder anderen Punkt eine
gründlichere Darstellung gewünscht, doch sind Rahmen und Zielsetzung
der Reihe als Bewertungsmaßstab anzulegen. Im Rahmen dieses
einführenden Werkes musste der Autor Abstriche zugunsten von Klarheit
und Übersichtlichkeit machen. Die von den Herausgebern eingangs
erwähnte Zielsetzung darf aber ganz klar als erfüllt betrachtet werden,
bietet Pfeiffers Einführung doch einen sehr guten Einstieg für Neulinge
in der Thematik; sie weiß aber auch dem Erfahreneren durchaus noch
Neues zu vermitteln und regt zur Auseinandersetzung und Diskussion an.
Der Autor vermag dabei auch komplexe Zusammenhänge leicht fasslich
darzustellen. Ein Buch dieser Qualität kann die Rezensentin daher als
Einstiegslektüre für die flavische Zeit jedem Interessierten nur
wärmstens empfehlen.
Andrea Schütze
Andrea Schütze München, Andrea Schuetze, Lupa Romana, Historikerin, Rechtshistorikerin, Althistorikerin, Mediävistin, Kunsthistorikerin, Rechtshistorikerin, Archäologin,
Rezension.
|
AKTUELLES
|
|
Weitere Links zu mir
|
|
Folge mit RSS
|
|
|
|