Rezension Andrea Schütze: Robert Harris, Pompeji
Literatur-Rezension
Die
Handlung von Robert Harris´ „Pompeji“ beginnt zwei Tage vor Ausbruch
des Vesuvs am 22. August 79 n. Chr. um 04.21 Uhr und endet am 25.
August 79 n. Chr., dem letzten Tag des Ausbruchs, gegen 07.57 Uhr.
Innerhalb dieses engen Zeitrahmens entfaltet sich auf knapp 400 Seiten
eine sehr rasant geschriebene Geschichte.
Das Ende der Geschichte ist durch die Historie Pompejis und der
weiteren versunkenen Städte am Vesuv bereits vorgegeben. Das Schicksal
zahlreicher Protagonisten, die Harris ins Spiel bringt, ist für den
Leser bereits zu erahnen bevor sich die Charaktere überhaupt einer
Gefahr ausgesetzt sehen, wie beispielsweise der Bordellbesitzer
Africanus und seine alternde Prostituierte Smyrina, die von besseren
Zeiten träumt, oder der ehemalige Gladiator Brebix, der das Töten satt
hat. Der Leser rückt damit in eine andere, den handelnden Personen
überlegene Position. Er kennt das Ende bereits am Anfang, er weiß um
das drohende Unheil, das den Charakteren vollkommen unvorstellbar wäre,
auf das sie aber geradewegs zusteuern, während sie sich noch ihres
Lebens freuen oder mit ihrem Schicksal hadern. Vorhersehbarkeit
kennzeichnet auch das Handlungsmuster, das dem Strickmuster vieler
Katastrophen-Filmen zu gleichen scheint, unabhängig davon, ob Vulkane
ausbrechen, Staudämme brechen, Erdbeben oder Stürme ganze Städte
verwüsten oder Meteoriten die Erde bedrohen - in ihrem Aufbau gleichen
sie sich alle.
Eingebettet in den digitalen Zeitrahmen, den Harris römischer Datierung
und Zeitmessung gegenübersetzt, steht im Zentrum der Wasserbaumeister
(Aquarius) Attilius. Durch den Tod seiner Frau geprägt, äußerst
kompetent, aber noch nicht sehr erfahren und jung - für viele zu jung -
wird er zur Instandhaltung der großen Wasserleitung Aqua Augusta nach
Misenum versetzt, die Kampanien mit lebenswichtigem Wasser versorgen
soll. Unterstützung erhält Attilius durch den alternden
Naturwissenschaftler Plinius – auch dessen tragisches Schicksal ist dem
Leser bekannt. Beide sehen sich zunächst einem scheinbar rein
technischen Problem in der Wasserversorgung der Aqua Augusta gegenüber,
die ihre Dienste versagt, bis sie den wahren Grund erkennen. Hilfe
erhält Attilius auch durch Corelia. Zwischen beiden entsteht eine
unglückliche Liebesbeziehung, die ohne Zukunft scheint, denn sie ist
die Tochter des aufgestiegenen und zwielichtigen Freigelassenen
Ampliatus, der in Pompeji inoffiziell alle Macht in Händen hält und
auch die Ratsherren nach seinem Willen tanzen lässt. Ein tödlicher
Gegner erwächst Attilius zusätzlich in Corax, der selbst auf den Posten
des Attilius spekuliert hatte und nur auf seine Gelegenheit wartet.
Zwischen diesen Polen der langsamen Erkenntnis der Gefahr und ihrer
durch Korruption und Geldgier verhinderten Abwehr zieht sich ein roter
Faden bis am 24. August 79 n. Chr. die Welt nie mehr so werden wird,
wie sie war…
Trotz der klaren Vorhersehbarkeit versteht Harris den Leser bis zum
letzten Buchstaben zu fesseln. Einzelne Charaktere mögen ihm zu
plakativ geraten sein, wie etwa die Hässlichkeit der Bösen, oder in
ihrer Mentalität zu modern, wie beispielsweise Attilius und einige
andere, die Gewalt verabscheuen und denen viel vom religiösen Denken
der Römer mit ihrem Aber- und Vorzeichenglauben fehlt. Hier wirkt
einiges zu modern, zu sehr von heute gedacht und in die Antike
versetzt. Beispielsweise dürfte auch die Vorstellung von einer
Explosion dem Römer, der zwar „fractiones“ (Bersten) oder „eruptiones“
(Ausbrüche) kannte, fremd gewesen sein. Denn die Wirkung einer
Sprengung, wie sie eine Explosion hervorruft, ist eine moderne
Erfahrung. Vieles im Buch erinnert an moderne Filme vom bekannten
Handlungsmuster (s.o.) bis zu schnellen Szenenschnitten. Als besondere
Stärke von Harris, die über manches angesprochene Problem hinwegfegt,
erscheint die Erzählperspektive, die den Leser einmal ins Innerste der
Personen hineinkriechen lässt und ihn – gerade am Schluss, als das
Schicksal der einzelnen Protagonisten in diesem Unglück angeführt wird
– wie mit einer Kamera sehr schnell und sehr hoch über alle Szenerien
hinaufzieht. Damit werden beim Leser durch die Filme vorgebildete
visuelle Vorstellungen wachgerufen und die Spannung eines Actionfilmes
erzeugt.
Das Buch ist allerdings nicht nur ein Actionreißer, sondern auch sehr
interessant komponiert und sehr gut recherchiert (davon zeugt nicht
zuletzt die am Ende angeführte Literaturliste und die erwähnte
wissenschaftliche Unterstützung). Neben einem horizonterweiternden
Einblick in das System römischer Wasserleitungen begegnen interessante
Kompositionen: Das System der Vorhersehbarkeit zeigt sich an
verschiedenen Stellen, wie des verschränkten Aufeinandertreffens
von Antike (die eigentliche Vergangenheit), die unwissend ihre Zukunft
bis zum Ausbruch noch vor sich hat und Moderne (die eigentliche
Zukunft), die wissend bis zum Ausbruch in die Vergangenheit
zurückblickt. Weiter auch im Aufeinandertreffen von antiker und
moderner Datierung und Zeitmessung, oder der Tatsache, dass Harris
jedes Unterkapitel mit einem Abschnitt moderner Vulkanologie einleitet,
der kontinuierlich die wissenschaftliche Diagnose zu den in der
Handlung beschriebenen Symptomen liefert, die einem Ziel zusteuern -
dem Ausbruch des Vesuv 79 n. Chr.
Kompositorisch interessant und sicherlich nicht zufällig ist Harris´
Auswahl eines Aquarius als Helden der Geschichte. Eine der größten
Leistungen der Römer, die eine kulturelle Revolution einläutete, war
nicht die Errichtung riesiger Grenzwälle und glänzender Tempelanlagen,
sondern die Erfindung des Rundbogens, die den Römern geniale Leistungen
auf dem Gebiet der Architektur und Ingenieurskunst ermöglichte. Für
das, was die Römer in Form von riesigen Aquädukten und Brücken (die
selbst über reißende Flüsse wie die Donau führten) bewerkstelligten,
muß ihnen bis heute Respekt gezollt werden. Hier hat sich wie auf kaum
andere Weise die allmächtige Größe Roms manifestiert, in der Bezwingung
der ungezügelten, chaotischen und ungeordneten Natur durch römische
Ordnung. In diesem Ausdruck von Ordnung und Regelung artikulierten die
Römer nicht zuletzt ihren Anspruch auf Weltherrschaft, wie dies auch in
der berühmten Aeneis des römischen Dichters Vergil anklingt. Hier
finden wir also nicht nur das Aufeinandertreffen der antithetischen
Motive Feuer (Vulkan) und Wasser (Aquädukt), sondern auch das
Aufeinandertreffen von Zivilisation und Chaos, von menschlicher
Ohnmacht und übermächtiger Naturgewalt.
Andrea Schütze
Andrea Schütze München, Andrea Schuetze, Lupa Romana, Historikerin, Rechtshistorikerin, Althistorikerin, Mediävistin, Kunsthistorikerin, Rechtshistorikerin, Archäologin,
Rezension.
|
AKTUELLES
|
|
Weitere Links zu mir
|
|
Folge mit RSS
|
|
|
|