Rezension Andrea Schütze: Robert Harris, Imperium
Literatur-Rezension
„Er
verfügte nicht wie Crassus über ein gewaltiges Vermögen, das ihm den
Weg ebnete. Er hatte nur eines – seine Stimme. Und mit der schieren
Kraft seines Willens machte er aus dieser die berühmteste Stimme der
Welt“ (S. 13). Eindrucksvolle Worte über einen noch eindrucksvolleren
Mann legt Robert Harris Tiro, dem bekanntesten Privatsekretär der
Antike, bei dessen Urteil über Marcus Tullius Cicero in den Mund.
Harris dürfte in seiner Charakterisierung dieses antiken Self-made-man
allerdings etwas (zu?) weit gehen. Marcus Tullius Cicero
durchschritt zwar eine atemberaubende Karriere als homo novus,
jedoch sicherlich nicht jene „vom Tellerwäscher zum Millionär“. Cicero
entstammte nicht kleinen Verhältnissen, sondern verfügte als Sprössling
einer Ritter-Familie aus Arpinum über das besondere Glück auf exklusive
Beziehungen zurückgreifen zu können, die auf Freundschaften oder
Verwandtschaften gründeten und ihm in Rom den Zugang zu den bedeutenden
Männern seiner Zeit eröffneten. Der moderne Mensch würde Cicero daher
sicherlich mit anderen Augen betrachten, ihn sozial deutlich höher
einstufen als es die Zeitgenossen taten. Denn nach den antiken
Vermögensdimensionen freilich verhielt es sich etwas anders. Auch wenn
dies heute schwer nachvollziehbar erscheinen sollte: Die High-Society
Roms erreichte bereits am Ende der römischen Republik einen
Vermögensstatus, der proportional auf heutige Verhältnisse umgerechnet,
selbst von heutigen Reichen nur schwer erreicht werden könnte. Ein
Wohlstandsverhältnis, das sich im Laufe der Kaiserzeit noch deutlich
steigern sollte. Nach diesen antiken Maßstäben, und nur nach diesen,
war Marcus Tullius Cicero im sozialen Ranking sicher ziemlich weit
unten anzusiedeln… und das bekam er auch bei jeder sich bietenden
Gelegenheit zu spüren. Meines Erachtens hat Harris gerade in der
Beachtung dieser in historischen Darstellungen über Cicero zumeist
vergessenen Hürde aus ungerechter Benachteiligung und gemeiner bis
verletzender Demütigungen, die Ciceros Weg sicherlich pflasterten, sein
besonderes schriftstellerisches Einfühlungsvermögen bewiesen.
Der steile und nicht minder beschwerliche Aufstieg des hochbegabten
Cicero, der sich gegen den bis heute gültigen Grundsatz zu behaupten
hatte, dass gute Beziehungen mehr wert sind als gute Bildung, steht im
Mittelpunkt des ersten Bandes. Zeitlich gesehen bewegen wir uns von
Ciceros Karrierebeginn bis zu dessen Prätur, die bereits unter jenen
Vorzeichen steht, die sein späteres Konsulat prägen werden.
Bemerkenswerterweise sind wir gerade über diesen harten Weg Ciceros
durch die römische Ämterlaufbahn, den cursus honorum, quellenmäßig
schlechter unterrichtet, als wir dies von der bestdokumentiertesten
Persönlichkeit der Antike erwarten würden. Auch von Cicero selbst
erfahren wir hier nur wenige Informationen, die einen Blick hinter die
Kulissen gestatten würden.
Und gerade hier setzt Robert Harris mit dem ganzen Schatz seiner
reichen und einfühlsamen Imaginationskraft ein, um seine Leser in eine
längst vergangene Epoche zu entführen. Heute in Biographien und
Geschichtsbüchern zentrale Ereignisse drängt er eher als
Rahmenbedingungen in den Hintergrund. Eine historisch gesicherte,
jedoch leider verschollene Biographie Tiros über Cicero bildet den
äußerst geschickten Rahmen, mit dem Harris die Hürde eines direkten
Vergleichs mit Ciceros Fähigkeiten umschifft. Die literarische und
intellektuelle Spurtiefe, die Cicero hinterlassen hat, ist zu gewaltig,
so dass jeder darin unweigerlich zu versinken droht, der in einem Roman
darauf angewiesen ist, Cicero nicht allein in Handlungen und Gesten zum
Leben zu erwecken, sondern ihn auch in Worten sprechen zu lassen. Auch
wenn der Leser während der Lektüre spannender Lesestunden das Gefühl
unmittelbaren Beobachtens historischer und weniger historischer
Ereignisse vermittelt bekommt, so erlebt er nie unmittelbare
Zeitzeugenschaft, sondern blickt durch die um Jahrzehnte zeitversetzte
und den Prozess des Alterns gereifte Erinnerung des alten Tiro: „Die
Alten leben von der Luft, und ich bin sehr alt – fast hundert, heißt
es“ (S. 11). Das Intro eines altersschwachen Erzählers an der Schwelle
zum Tod erinnert deutlich an die berühmte Vorlage von Robert von
Ranke-Graves Roman „I Claudius / Ich Claudius Kaiser und Gott“. Mit
diesem geschickten Kunstgriff und einem sehr starken Auftakt taucht
Robert Harris gemeinsam mit dem Leser in das erste Jahrhundert vor
Christus ein. Wie bereits angedeutet besteht Harris´ literarische
Leistung nicht in der Schilderung historischer Korrektheiten, sondern
in dem Ausfüllen der Lücken. Jede Gestalt erhält bei ihm eine eigene
Charakterisierung, ob es der abgerissene und ungepflegte Cato ist, der
etwas schwerfällige Bruder Quintus, der lauernd-dämonische Catilina
(leider zeigt sich Harris hier zu wenig differenziert in der
dämonisiert überzeichneten Überlieferung dieses politischen Hasardeurs)
oder die starke wie spitzzüngige Terentia, mit der Cicero eine durchaus
turbulente Ehe führt. Im Zentrum steht natürlich der strahlende und
gutaussehende Cicero, der Inbegriff eines aufsteigenden Stars. Wir
erleben ihn in der Imagepflege während der morgendlichen Salutatio mit
seinem Töchterchen Tullia, wir leiden mit ihm in den Intrigen und
Demütigungen einer neidischen und arroganten Oberschicht, die in einem
undurchdringlichen Geflecht aus Intrigen und Patronage allein wegen
seiner sozialen Unzulänglichkeit ihren Schulterschluss findet, ihn
schneidet und demütigt so gut es geht, wir lauschen den Beratungen und
Strategie-Entwicklungen im engsten Freundes- und Familienkreis und
erleben bisweilen auch seine vollkommene Hilflosigkeit und
Ausgeliefertheit gegenüber Alltäglichkeiten, wie etwa bei Terentias
Entbindung vom kleinen Marcus.
Manches an Cicero wirkt bei Robert Harris etwas zu modern geraten,
erinnert auffällig an die Anwaltsgestalten und Handlungsstränge bei
John Grisham, dennoch:
Es ist nicht der Gigant Cicero, den er uns selbst in seinen
überlieferten Reden und Schriften zu vermitteln sucht, es ist auch
nicht der tönerne Riese Cicero, der uns in seinen erhaltenen Briefen
tiefer blicken lässt und der Petrarca so sehr enttäuschte. Es ist eine
Mischung aus beidem und noch viel mehr. Es ist das Bild eines Mannes,
dessen Weg durch hohe Begabung und eisernen Willen geebnet wird, der
vom Schicksal gekost Momente höchsten Glückes, höchster Befriedigung
und höchsten Triumphes in gleicher Weise durchlebt, wie vom Schicksal
gepeitscht die finstersten Talsohlen von Demütigungen, Rückschlägen und
Unsicherheiten durchzuhalten hat. Es ist das Leben eines Menschen in
allen seinen Facetten, es ist Marcus Tullius Cicero.
Andrea Schütze
Andrea Schütze München, Andrea Schuetze, Lupa Romana, Historikerin, Rechtshistorikerin, Althistorikerin, Mediävistin, Kunsthistorikerin, Rechtshistorikerin, Archäologin,
Rezension.
|
AKTUELLES
|
|
Weitere Links zu mir
|
|
Folge mit RSS
|
|
|
|