Rezension Andrea Schütze: Arweiler / Gauly, Machtfragen
Wissenschaftliche Rezension
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Werkdaten:
Alexander H.
Arweiler, Bardo Maria Gauly (Hrsg.),
Machtfragen,
Franz-Steiner-Verlag
Stuttgart 2008
ISBN-10: 9783515092951
303 S.,
Preis: 49,00 €.
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der Rezension:
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Macht
stellt neben Reichtum und Sex eine der intensivsten Urbegierden dar,
die den Menschen umtreiben. Zunächst scheint der Begriff der Macht klar
verständlich zu sein, hat doch scheinbar jeder eine Vorstellung davon.
Doch was ist Macht eigentlich? Wodurch zeichnet sie sich aus? Warum
findet sie im einen Fall Anerkennung, im anderen hingegen nicht? Hat
nur der Mächtige Macht? Diese und weitere "Machtfragen" haben sich die
Autoren dieses Bandes gestellt, der anlässlich eines zu Ehren des 65.
Geburtstages von Konrad Heldmann abgehaltenen Kolloquiums
(3.-5.11.2005, Institut für Klassische Altertumskunde,
Christian-Albrechts-Universität Kiel) entstanden ist.
Der Band setzt sich aus zehn Beiträgen mit jeweils eigenem
Literaturverzeichnis, kurzen abstracts der Beiträge, Kurzbiographien
der Beiträger und einem abschliessenden Personen- und
Sachstellenregister zusammen. Die Beiträge sind zwar grundsätzlich
chronologisch angeordnet, verstehen sich hingegen nicht als
chronologische Darstellung, sondern als eine epochen- und
kulturübergreifende Betrachtung der Macht.
Die Schwierigkeiten, diesen scheinbar klaren Begriff "Macht" zu
definieren, verdeutlicht die Einführung von Alexander Arweiler und
Bardo Maria Gauly (Was sind Machtfragen?, S. 7-18). Sie verdeutlicht,
dass sich Macht weniger positiv als negativ definieren lässt und nur
dort greifbar in Erscheinung tritt, "wo (soziale) Handlungskontexte ...
und Handlungsalternativen gegeben sind" (S.9).
In seinem Folgebeitrag (Souveränität und Einschliessung, S. 19-77)
unternimmt es Arweiler der Frage nachzugehen: "Wo ist die Macht im
literarischen Text?" (S.19). Arweiler, der sich zunächst erneut dem
Machtbegriff nähert und dessen Relativität wie Relationalität
herausarbeitet, folgt im weiteren Verlauf dem Gebrauch und der
Wahrnehmung von Macht. Macht im literarischen Kontext könne nicht mit
dem allgemeinen Sprachgebrauch umschrieben werden, sondern müsse
eigengesetzlich terminiert werden (S.24). Die substanzlose Natur von
Macht bewirke, dass diese nur dann wahrgenommen werden könne, wenn sie
sich in Medien manifestiere. Für die weitere Annäherung unternimmt es
Arweiler, auf die Begriffe Autorität, Herrschaft, Souveränität und
Administration weiter einzugehen. Auch Karl-Joachim Hölkeskamp sieht in
seinem Beitrag (Hierarchie und Konsens. Pompae in der politischen
Kultur der römischen Republik, S. 79-126) die reine Stofflichkeit des
Mediums als ungenügenden Kommunikationsträger, betont vielmehr die
mediale Bedeutung von Ritualen und Inszenierungen. Dies setzt
allerdings ein "rituelles Wissen" (S. 82) und eine auf Konsens
beruhende "Syntax der Ordnung und der Regeln des Rituals über die
Semantik oder Symbolik" (S. 82) voraus. Dabei kommt es in dieser
"mediterranen open-air-Kultur" (S. 85) zu einer Verschmelzung zwischen
den nicht-stofflichen Ritualen und Inszenierungen einerseits und
andererseits der steingewordenen Öffentlichkeit (Forum, Kapitol,
Marsfeld, Strassen). In diesem Spannungsfeld inszenierte sich die in
ihrer Exklusivität durch erfolgreichen militärischen und politischen
Einsatz legitimierte römische Oberschicht. Hölkeskamp untersucht dieses
Inszenierungsverhalten anhand der drei wichtigsten Prozessionsformen
(pompa triumphalis, pompa funebris, pompa circensis). Er kommt dabei zu
dem Schluss, dass den pompae zwar einerseits eine spezifische
"Ritualsyntax" (S. 109), andererseits zugleich aber auch eine allen
gemeine "Supra-Syntax" (S. 112) eigen sei, die geeignet, ist zwischen
Oberschicht und restlichem Populus Romanus - der an diesen Ritualen
nicht staffagegleich, sondern aktiv partizipiert (S.92)-- einen
legitimierenden und stabilisierenden Konsens zu erzeugen (S. 116). Mit
dem Triumph als "Brennpunkt und Projektionsfläche adliger Konkurrenz
... und ... Erinnerungskultur" (S. 127) beschäftigt sich Helmut Krasser
(Poeta Triumphans. Römische Sieghaftigkeit und die Macht des Dichters
im vierten Odenbuch des Horaz, S. 127--148). Krasser betont wie schon
Hölkeskamp im vorangehenden Beitrag die aktive Teilhabe des Populus bis
hin zur Rolle des "Beuteherren" (S. 130). Die Besonderheit des
dichterischen und damit fixierten Triumphs gegenüber jenem, der in Rom
(real) inszeniert wurde, liegt in der Macht dichterischer Kreativität.
Anders als eine Inszenierung dies je vermochte, ist er imstande,
nachträglich korrigierend zu akzentuieren und durch die ständige
Rekapitulierbarkeit dieses Ereignisses unsterbliche Erinnerung zu
schaffen. Dies verleiht dem Dichter ein ganz neues Selbstbewusstsein
und lässt ihn "nicht nur als Anwalt der Erinnerung, sondern machtvollen
Konstrukteur einer neuen Wirklichkeit" (S. 114) im kaiserlichen
Machtspiel mitwirken.
Rolf Michael Schneider (Im Bann der Bilder: Rom unter Augustus, S.
149--186) untersucht das mediale Betrachtungsspektrum um den bildlichen
Machtdiskurs. Dieser steht dem textuellen keineswegs oppositionell
gegenüber, sondern bildet ein komplementäres Bezugsverhältnis zwischen
Text und Bild heraus (S. 149 f.). Schneider spricht drei wichtige
innerrömische Machtdiskurse an. Zunächst diskutiert er anhand
aussagekräftiger Bauprogramme auf den Foren (Forum Romanum, Forum
Iulium, Forum Augustum), dem Circus Maximus und dem Marsfeld-Komplex
die "imperiale Transformation der urbanen Lebensräume" (S. 151) und
dringt mit seinen Analysen bis in die Feinheiten der Materialsemantik
(Buntmarmore) vor (S. 157). Dabei habe gerade der Baustellencharakter
nicht nur allgemeine Akzeptanz, sondern wohl auch mittels Arbeit, Lohn
und Brot erzeugte Vorstellungen von einer Teilhaftigkeit des Populus
Romanus hervorgerufen (S. 159). Besonders gelungen erscheint der zweite
Kommunikationsweg kaiserlicher Bildnisse. Schneider beschwört in seiner
Schilderung eine kaiserliche Omnipräsenz herauf (S. 162), die nach
heutigem Medienverständnis aggressiv-penetrant zu verstehen wäre,
während sie beim antiken Medienrezipienten auf Akzeptanz gestossen sein
muss. In einem dritten Abschnitt widmet sich Schneider schliesslich
anhand des Schönen Orientalen der kontextbezogenen Differenzierung
einer einheitlichen Ikonographie von Fremdem.
Bardo Maria Gauly (Magis homines iuvat gloria lata quam magna. Das
Selbstlob in Plinius? Briefen und seine Funktion, S. 187--204)
untersucht in Plinius? Briefen das Eigenlob des Autors, das nicht nur
eine memoriale Zielrichtung, sondern ganz wesentlich eine
(Eigen-)Empfehlung für den Senator gegenüber dem neuen
Herrschaftssystem verfolgt. Dabei präpariert der Beiträger eine sehr
geschickte Präsentationstaktik des Plinius heraus, mit der dieser
mittels des Brief-Ichs, das seine Idealgestalt, nicht sein Ebenbild
vorstellt, eigenes Handeln kommentiert und quasi durch die eigene
Stimme ein Barometer des eigenen Erfolges schafft. Dies mag--wie der
Autor hervorhebt--durchaus ein Verhalten sein, das nach heutigen
Massstäben aufstösst, aber im Kontext einer Zeit betrachtet, die
zahlreiche domitianische Ex-Karrieristen mit ähnlichen Problemen
kannte, auf Akzeptanz gestossen sein dürfte.
Bildung spielt im Beitrag von Thomas A. Schmitz (Macht und Ohnmacht der
Bildung bei Lukian, S. 205--221) im Machtdiskurs eine Rolle und dann
auch wieder nicht. Bildung war im Zeitalter Lukians ein
erstrebenswertes Idealziel, dessen Prestigegehalt als
Identifikationsmerkmal einer gesellschaftlichen Elite sowohl exklusive
als auch inkludierende Tendenzen beinhaltete. Anhand des
Aufeinandertreffens von römischer und griechischer Bildungskultur
analysiert Schmitz einerseits die im Bildungsgrossraum des Hellenismus
erkennbare kulturelle Nivellierungstendenz alter Unterschiede, die
allenfalls noch in gegenseitigen Vorurteilen zwischen Römern und
Griechen weiterleben. Andererseits zeigt das Verhältnis zwischen den
mächtigen Römern und den ohnmächtigen Griechen, dass Bildung zwar
Teilhabe an sozialer Elite, nicht jedoch an realer Macht zu schaffen
vermag.
Einen Zeitenwechsel des Machtdiskurses ins Mittelalter vollziehen die
beiden folgenden Beiträge von Christel Meier (Der Dichter und die
Mächtigen, Imagination von Herrschaft im lateinischen Epos, S.
223--245) und Gerhard Fouquet (Machtfragen. Königliche und hochadlige
Herrschaft im Spätmittelalter oder der verweigerte Gruss des Hans von
Zimmern gegenüber König Sigmund, S. 247-262). Schmitz untersucht anhand
von vier Epen-Typen (panegyrisches Epos, fiktives Epos, historisches
Alexander-Epos, satirisches Tier-Epos) diesen für den literarischen
Machtdiskurs im Mittelalter so wichtigen Literaturtypus. Sie gibt dabei
zu bedenken, dass für eine Analyse dieser Medientypen sowohl eine dem
Epos innewohnende, innermediale Eigengesetzlichkeit zu beachten sei als
auch ausserhalb der kulturelle und politische Kontext, in dem das
jeweilige Werk entstand und rezipiert wurde, miteinzubeziehen sei. So
wirke das Epos einerseits als Spiegel des Machtdiskurses, als Idealbild
oder schlicht Zerrspiegel der eigenen Zeit. Fouquet widmet sich in
seinem Beitrag den Kommunikationsstrukturen innerhalb der
hierarchischen, aber kommunikativ durchlässigen Gesellschaftsform des
Mittelalters. Im Fall des Hans von Zimmern zeigt Fouquet auf, dass
Macht keineswegs nur von oben nach unten kommuniziert wurde, sondern
dieser Diskurs in einer Gesellschaft, in der Macht wesentlich auf
Konsens und Beziehungen beruht, auch von unten nach oben vollzogen
werden konnte.
"Machtfragen" behandelt eine Urthematik menschlicher Kommunikation. Es
ist ein wissenschaftliches Werk, das im Jargon der Belletristik als
"hochspannend" bezeichnet werden darf, zugleich aber auch aus der Warte
nüchterner Wissenschaft seine Leser in anspruchsvoller Weise zu fordern
weiss.
Andrea Schütze
Andrea Schütze München, Andrea Schuetze, Lupa Romana, Historikerin, Rechtshistorikerin, Althistorikerin, Mediävistin, Kunsthistorikerin, Rechtshistorikerin, Archäologin,
Rezension.
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